Ein Nachtrag zum runden Geburtstag der NATO (Teil II)

Anfang April feierte die NATO ihr 70. Gründungsjahr. Freunde der Militärallianz und Mainstreammedien jubelten. Der Warschauer Pakt konnte nicht gratulieren, er existiert nicht mehr. Nur die NATO will ihm einfach nicht in die Geschichtsbücher folgen. Teil 2 von 2.

 

Rund um den 70. Jahrestag der NATO-Gründung warben hiesige Leitmedien natürlich auch ganz direkt für die weltweit immer aggressiver auftretende Militärallianz – angereichert mit einer Prise Propaganda: »Die meisten Politiker und Bürger nehmen zu wenig zur Kenntnis, dass die Bedrohung unseres Lebensmodells nicht ein Szenario von gestern ist, sondern hochaktuell. Die Nato ist daher heute gerade für die Deutschen genauso wichtig wie vor Jahrzehnten, ihr Wert unbezahlbar«, behauptet die Stuttgarter Zeitung einfach mal so.

 

»Diese Debatte (um die US-geforderte Erhöhung des deutschen Verteidigungsetats, Anm. d. Red.) zeigt, dass sich die Nato zurzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Und Russland heißt nicht das einzige Bedrohungsszenario. Das Militärbündnis wird zum Beispiel klären müssen, wie es sich künftig gegenüber der Herausforderung aus Peking aufstellen will. Ja. Die Nato behält als Friedensgarant ihre Existenzberechtigung – sie wird aber globaler agieren müssen. Das Etikett ‚Erfolgsmodell der Zukunft‘ muss sich die Allianz erst erarbeiten«, heißt es belehrend in den Westfälischen Nachrichten.

 

»Das Bündnis hat sich in den vergangenen 70 Jahren immer wieder den weltpolitischen Entwicklungen angepasst, hat nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Rolle als Weltpolizist im Kosovo, in Afghanistan und im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat‘ gefunden. Einer der Profiteure dieser Erfolgsgeschichte ist Deutschland, das sich vom geteilten Land in bedrohlicher Randlage am Eisernen Vorhang zur weltweit viertgrößten Volkswirtschaft entwickeln konnte. Auch deshalb sollte die Bundesregierung klar signalisieren, dass sie ihre Militärausgaben so erhöhen wird, wie sie es mehrfach versprochen hat«, wirbt die Schwäbische Zeitung für mehr Aufrüstung.

 

Und die Neue Züricher Zeitung findet es »erstaunlich«, dass »kaum je Kritik am Militär-Sparmeister Deutschland laut wird«. Während die Neue Osnabrücker Zeitung anlässlich des NATO-Geburtstages von einem »Ehrentag« spricht, beweisen außenpolitische Korrespondenten wie Michael Thumann von der Zeit, dass man in dieser Funktion von einer korrekten Schilderung geopolitischer Ereignisse ebenso absehen kann wie von internationalen Verträgen oder einer UN-Charta.

 

Thumann übergeht in seiner Zeit-Kolumne »Die Chefs kommen nicht zur Party« das Völkerrecht einfach mit Sätzen wie: »Er (ein neuer Feind der NATO, Anm. d. Red.) wurde bald im zerfallenden Jugoslawien ausgemacht, wo der serbische Herrscher Slobodan Milošević erst Bosnien und später Kosovo zerrüttete. Die Nato griff in beiden Fällen ein. Danach verging nicht viel Zeit, und die Allianz musste zum ersten Mal den Artikel 5 aufrufen: die heilige Beistandsverpflichtung. Als Osama bin Ladens Selbstmordattentäter 2001 die USA angriffen, fand das Bündnis neuen Sinn im Krieg gegen den Terrorismus. Es begann der längste Nato-Einsatz der Geschichte; einige Nato-Länder, darunter Deutschland, stehen heute noch in Afghanistan. Den Kampf gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘ in Syrien, zu dem die Nato beitrug, kann man als Fortsetzung sehen.«

 

Im Fortlauf widmet sich der Journalist dem neuen Feind – und plötzlich kommt Thumann dabei die Pariser Charta in den Sinn: 

 

»Putin besetzte mit seinen Truppen erhebliche Teile der Ukraine. Die russische Krim-Annexion erschütterte die Ordnung der Pariser Charta von 1990. Wladimir Putin möchte diese Ordnung revidieren und erkennt viele Verträge nicht mehr an. Seit 2014 findet die Nato ihren Daseinszweck wieder in Europa. Niemand hat mehr dafür getan als Wladimir Putin. Er hat neue nukleare Marschflugkörper stationiert, die auf europäische Hauptstädte zielen. Jahr um Jahr lässt er seine Armee Angriffe auf Nato-Territorium üben.«

 

Dazu einige Anmerkungen: Wurde die Pariser Charter tatsächlich erst mit der vermeintlichen »Krim-Annexion« erschüttert? Und woher weiß Thumann, dass Putin die Charta revidieren will? Und müsste es nicht heißen, dass Russland viele Verträge auch nicht mehr anerkennt, nachdem diese von den USA – wie jüngst der INF-Vertrag oder 2002 der ABM-Vertrag – außer Kraft gesetzt wurden? Und ist die Stationierung von Marschflugkörpern nicht eine Folge des Raketenschilds? 

 

Völkerrechtswidrig: NATO-Einsätze in Afghanistan und Jugoslawien

»Seit 1992 sind auch sogenannte Out of Area-Einsätze außerhalb des eigenen Territoriums möglich; seit den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 kämpft das Bündnis weltweit gegen den Terrorismus. Die NATO North Atlantic Treaty Organization war unter anderem im Kosovo (1999) und in Libyen (2011) im Einsatz, in Afghanistan ist das Bündnis seit 2001 aktiv«, heißt es auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums.

 

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 (»9/11«) gestanden die Vereinten Nationen den Vereinigten Staaten mit der Resolution 1368 zwar das Recht auf Selbstverteidigung gemäß der UN-Charta ein, was man den USA aber nicht zubilligte, war das Recht, einen Angriffskrieg gegen das UN-Mitglied Afghanistan zu beginnen – auch wenn dort das unliebsame Regime der Taliban an der Macht war. Bei den 9/11-Terroranschlägen handelte es sich jedenfalls um keine kriegerische Handlung eines Staates gegen die USA. Und Afghanistan wurde in der UN-Resolution nicht erwähnt. Der im Oktober 2001 begonnene Krieg gegen das zentralasiatische Land war daher nicht von einem UN-Mandat gedeckt.

 

Die NATO-Allianz verstieß jedoch schon zwei Jahre vor 9/11 gegen das Völkerrecht. Als Kriegsvorwand diente damals die Behauptung, dass die albanische Bevölkerung mit einem Hufeisenplan aus dem jugoslawischen (serbischen) Kosovo vertrieben werden sollte. Außenminister Joschka Fischer sprach von einem »neuen Auschwitz« und Verteidigungsminister Rudolf Scharping vom »KZ im Fußballstadion von Pristina«. Dabei verbreitete er Horrorgeschichten über die Serben. 

 

Ausschlaggebend für den völkerrechtswidrigen Angriff war dann das angebliche Massaker von Račak. Verbreitet wurde diese Behauptung von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Allerdings konnte ein wissenschaftlicher Abschlussbericht finnischer Gerichtsmediziner diese Behauptung später nicht bestätigen. Die forensische Untersuchung der in Račak gefundenen Toten, bei denen es sich vermutlich um gefallene albanische Untergrundkämpfer der UCK handelte, widersprach der verbreiteten Version eines Massakers an Zivilisten.

 

Die Öffentlichkeit wurde über das Untersuchungsergebnis vorerst aber nicht informiert. Dabei vermied es die NATO, auch von einem Krieg zu sprechen. Man hatte ja schließlich auch keine Kriegserklärung abgegeben. Nichtsdestotrotz verstieß der Krieg gegen das Völkerrecht, was auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder später eingestand. Und James Harff von der in Washington ansässigen PR-Firma Ruder Finn, die von der kroatischen und bosnischen Regierung und später auch von der Führung der Kosovo-Albaner den Auftrag erhielt, die Serben als Aggressoren und Unterdrücker darzustellen äußerte sich dazu wie folgt:

 

»Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht.«

 

Und der sogenannte Premierminister der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo, Ramush Haradinaj, verkündete jüngst,  ein »Soldat Amerikas« zu sein, der lediglich Befehle befolge. 

 

Auf Kriegsfuß mit Den Haag

Es ließen sich mit dem Krieg gegen Libyen 2011 – das Land befindet sich seitdem im Bürgerkrieg – weitere Beispiele für die Aggression der NATO auflisten. Und die geheimen NATO-Stay-behind-Organisationen (»Gladio«) und die damit in Verbindung stehenden Terroranschläge  sowie die Beteiligung an Putschen gegen gewählte Regierungen ist ohnehin ein eigenes Kapitel für sich. Dass die NATO-Fans in ihren PR-Schreibstuben davon grundsätzlich und erst recht zum 70. Gründungsjahr des Militärbündnisses möglichst nichts wissen wollen, liegt auf der Hand.

 

Und wer für die neuen Spannungen in Europa, ausgelöst durch die Ereignisse in der Ukraine, gesorgt hat, wird trotz des Eingeständnisses von Victoria Nuland konsequent ausgeblendet. Wie die ehemalige zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums für Europa und Eurasien in einem Interview für den TV-Sender CNN zugab, haben die USA nach dem Zerfall der Sowjetunion immerhin fünf Milliarden US-Dollar in »die Unterstützung des Strebens des ukrainischen Volkes nach einer stärkeren, demokratischen Regierung« investiert. Einmischung in innere Angelegenheiten nennt man das – jedenfalls, wenn es als russische Verschwörung zum Feinbildaufbau dient.

 

An dieser Stelle könnt man ja nochmals zitieren, was da so alles in der Charta von Paris steht, im Zwei-Plus-Vier-Vertrag oder in der UN-Charta. Geschenkt. Warum aber die USA als NATO-Anführer den Internationalen Strafgerichtshof, IStGH, ein Hauptorgan der UN in Den Haag,  nicht anerkennen und im Ernstfall sogar militärisch bekämpfen würden, wird im Mainstream kaum hinterfragt.

 

Mit dem »American Service-Members‘ Protection Act«, ASPA, einem Schutzgesetz für amerikanische Dienstangehörige, behält sich Washington nicht nur das Recht vor, Mitglieder der US-Regierung, des US-Militärs und weitere offizielle US-Vertreter vor einer Auslieferung an den IStGH zu schützen. ASPA ermächtigt den US-Präsidenten zudem, alle erforderlichen Mittel anzuwenden, einschließlich einer militärischen Invasion, um in Den Haag angeklagte US-Bürger zu befreien.

 

Das Gesetz, auch als Den-Haag-Invasionsgesetz bekannt, wurde im August 2002 von George W. Bush in Kraft gesetzt. Wie um alles in der Welt sollte also ein Bürger der USA dort zur Rechenschaft gezogen werden? Und wer würde Den Haag verteidigen? Die NATO vielleicht?

 

Anspruch und Realität

Aber genug in die Vergangenheit geblickt. Zwar bejubeln die NATO-Claqueure in der deutschen Politik- und Medienlandschaft das Militärbündnis weiterhin stur und ignorant. Trotzdem gibt es auch einige Ausnahmen. Willy Wimmer von der CDU, ehemaliger Staatssekretär beim Verteidigungsministerium, bezeichnet die NATO etwa als »globale Zündschnur« und als ein »Vehikel zur Führung von Angriffskriegen«, das »aus der Zeit gefallen« sei.

 

Und der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine von der Linken fordert die Auflösung der NATO: »Heute wäre es an der Zeit, ein Bündnis für Abrüstung, Frieden und Gerechtigkeit ins Leben zu rufen, das den in Vergessenheit geratenen Artikel 1 des Nato-Vertrages zur Grundlage seiner Politik macht. Es sollte sich zum Ziel setzen, die irrwitzigen Ausgaben für Rüstung und Militär zu senken und die freiwerdenden Mittel zu nutzen, um Hunger und Krankheit in der Welt zu bekämpfen«, so Lafontaine auf seiner Facebook-Seite.

 

Und das steht übrigens in Artikel 1 des NATO-Vertrags vom 4. April 1947:

 

»Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.«

 

Artikel 2 beginnt mit den Worten: »Die Parteien werden zur weiteren Entwicklung friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen beitragen.« Die Artikel 10 und 13 machen im Übrigen klar, wer in der NATO das Sagen hat: Es sind die Vereinigten Staaten, die den IStGH im Ernstfall militärisch bekämpfen würden, um US-Bürger von dort zu befreien.

 

Mit völkerrechtswidrigen Kriegen, Umstürzen gewählter Regierungen, aber auch mit den Stay-behind-Organisationen hat die NATO jedenfalls mehrmals gegen den eigenen Vertrag und das Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie verstoßen – ob es den Anhängern der NATO nun passt oder nicht.

 

 

Mein Beitrag erschien bei RT Deutsch.

 

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