Seitenwechsel oder Spielabbruch! Der Klubfußball als Hure

Eine Ablöse von 222 Millionen Euro und ein künftiges Tagessalär von rund 100.000 Euro plus Prämien für einen 25-jährigen Fußballspieler namens Neymar, der schon nach wenigen Arbeitsjahren im Besitz einer Yacht im Wert von 8 Millionen Dollar, zahlreichen Luxuskarossen, verschiedenster Immobilien oder mit Diamanten bestückter Ohrringe ist, könnte dem Fass des Anstands ja mal den Boden ausschlagen.

 

Willkommen im Circus Maximus

Danach sieht es allerdings nicht aus. Das Fußballvolk trägt seine bitter verdienten Groschen, lechzend nach Unterhaltung jeder Art, weiterhin brav in die Arenen der Kommerzballgesellschaften und ihrer herangezüchteten Gladiatoren. Dabei sind sogar einem Uli Hoeneß beim Wechsel des Brasilianers vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain ein paar Millionen zu viel verschoben worden. Und ein Hoeneß sollte sich mit dreistelligen Millionenbeträgen und »Balldantlern« auskennen. Aber auch dem unbeteiligten Beobachter dürfte klar sein: Ein Fußballspieler spielt nur Ball.

 

Javier Poves aus Spanien reichten im Jahr 2011, da war er 24, zehn Minuten Profifußball für Sporting Gijon in der Primera Division, um sich angewidert vom »kapitalistischen Fußball-System«, wie er damals sagte, abzuwenden. Einst spielte er, wie so viele, Fußball aus Liebe zum Spiel. Er kündigte seinen Vertrag, um Geschichte zu studieren und soll kein Geld mehr von Sporting entgegengenommen haben. Das vom Klub zur Verfügung gestellte Auto gab er zurück, da es sich falsch anfühle, zwei Wagen zu haben.

 

Ein Geschäftsmodell von Brot und Spielen

Offensichtlich sieht man das aber weder in Paris noch bei den unterhaltungsbedürftigen Zuschauern des nach neoliberalen Vorstellungen durchkommerzialisierten Fußballs in Resteuropa so. Und auch ein unter Korruptionsverdacht stehender und frei von Moral handelnder Investor Nasser Al-Khelaifi wird dem nichts abgewinnen können. Der katarische Präsident von Paris Saint-Germain dürfte in den Pariser Banlieus womöglich genauso wenig soziale Missstände erkennen, wie ein Franz Beckenbauer in Katar Sklaven auf den Baustellen für die Fußballweltmeisterschaft der FIFA. Vermutlich wurde der »Kaiser« von den Geschenken der Scheichs vor Ort geblendet. Vielleicht wusste Beckenbauer aber nicht, dass Sklaven in absoluten Erbmonarchien wie Katar keine Eisenketten mehr tragen, denn heute gibt es Bankkonten, die einfach leer bleiben können. Auch müssen moderne Gladiatoren keinen Tod mehr fürchten und dürfen sich nach Eintritt des Rentenalters, also spätestens mit Ende 30, den Kopf darüber zerbrechen, was mit der restlichen Lebenszeit anzufangen ist.

 

Die Solidarität der Lohnsklaven oder auch Arbeiter wurde jedenfalls schon früh, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aufgebrochen, indem man die anfangs erfolgreichen Interessenvertretungen der Arbeiter zu bekämpfen begann. Dafür wurden unter anderem Werksklubs gegründet. In Deutschland zum Beispiel bei Bayer, Wacker, Carl-Zeiss, Volkswagen und Opel. International etwa bei Royal Arsenal (FC Arsenal), Lancashire and Yorkshire Railway (Manchester United), Philips (PSV Eindhoven), Pommery (Stade de Reims), Peugeot (FC Sochaux), Parmalat (AC Parma) sowie mit zahlreichen weiteren Werksteams in West- und Osteuropa (Zenit Sankt Petersburg, BATE Baryssau, Schachtar Donezk) und in anderen Teilen der Welt, ob in Asien (Urawa Red Diamonds, Sanfrecce Hiroshima), Südamerika oder Afrika. So sollte eine Identität mit dem Konzern und gegen andere Arbeiter hergestellt werden. Und die Strategie ging durchaus auf.

 

In einer verkehrten Welt

Mit erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, PR), einer von Edward Bernays geprägten Bezeichnung für die in Verruf geratene Propaganda, hat man es über die Jahre geschafft, die Interessen der breiten Arbeiterschaft so sehr zu verdrehen, dass diese schlangestehen, um ihre Wochenlöhne für Tickets, Trikots und sonstige PR-Artikel moderner Gladiatoren auszugeben, die Logos von Konzernen spazieren tragen und scharenweise in die Fußballarenen pilgern. Auch wenn sie dafür kreuz und quer über den Kontinent reisen müssen.

 

Wen stört da schon der an maximale Ungerechtigkeit grenzende Umstand, der einem Jungkicker im Schlaf mehr Geld beschert, als manch Baustellensklave fern von Heimat und Familie unter der glühend heißen Wüstensonne Katars in seinem ganzen Arbeitsleben zusammenbuckeln könnte? Bleiben vielleicht die Ränge bei Spielen der europäischen Topligen, gar der Champions League leer, die Regale in den Fanshops voll und die Fernsehgeräte aus? Nein! Und das, obwohl schon die Gehälter der Mannschaftskollegen von Neymar oder auch der Manager und Funktionäre dieser ganzen Sportinszenierungen nichts weiter als Hohn und Spott für jeden ehrlich und hart arbeitenden Menschen sind.

 

Die Prostitution der Fußballklubs

Wen stört es, dass sich Konzerne und Oligarchen die Hure Fußballverein besorgen, um sie als Kapitalgesellschaft auf den Strich zu schicken oder sie für ihr privates Vergnügen missbrauchen? Sie gehen das Ganze nicht einmal sportlich mit einem Neustart in der letzten Liga an, um sich durch den Amateursumpf bis nach oben zu spielen.

 

Unter dem billigen Vorwand, in die Region zu investieren, nimmt man den Platz gewachsener Vereine ein. Dabei spielt es für den unkritischen Fußballkonsumenten keine Rolle, dass man, um etwa Jugend- oder Sportzentren zu errichten, was ja auch ein Versagen der Politik sein könnte, keineswegs einen traditionsreichen Fußball- oder Sportverein auslöschen muss. Ein Sportzentrum ließe sich problemlos errichten. Ob und wie das allerdings den Absatz der eigenen Produkte steigert, steht auf einem anderen Blatt. Und eben darin unterscheidet sich ein echter Fußballfan vom beliebig austauschbaren Zuschauer und Dauerklatscher der Partymeilen des Public Viewing.

 

Die TSG Hoffenheim hatte in der Ober- und bis vor gut zehn Jahren in der Regionalliga im Schnitt keine 2.000 Fans, aber eben Fans. Ähnlich sah es beim SSV Markranstädt, heute RB Leipzig, aus. Mittlerweile spielen beide, die TSG 1899 Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH und die RasenBallsport Leipzig GmbH, in der ersten Bundesliga. Dabei kommt der SAP-Ableger aus dem überschaubaren Örtchen Hoffenheim auf knapp 30.000 Zuschauer pro Heimspiel und die sächsische Filiale von Red Bull (RasenBallsport) zieht rund 40.000 Besucher an. In beiden Fällen einem Vielfachen der Einwohnerzahl der jeweiligen Orte. Dabei gäbe es für Fußballbegeisterte ja auch zahlreiche andere Vereine wie die traditionsreichen Viertligisten SV Waldhof Mannheim oder die Lok aus Leipzig in der Umgebung. Auf Erstligaspektakel muss man aber hin und wieder, eventuell auch dauerhaft verzichten können, wenn man sich mit einem FC verbunden fühlt und mit dem Fußballvirus infiziert ist. Wie man mit einem Kleinstadtklub ganz ohne Milliardär erfolgreich sein kann, zeigen dagegen die Zweitligavereine SV Sandhausen und FC Erzgebirge Aue.

 

Götzendiener gegen Rebellen

Für den Psychologieprofessor Rainer Mausfeld von der Christian-Albrechts-Universität Kiel führt der gedankenlose Konsumismus, sich von irgendeinem Event belustigen zu lassen und in der anonymen Masse unterzugehen, zu einem Identitätsverlust, einer unersättlichen Gier nach verschiedenen Formen falscher Identitäten, die mit der eigenen Lebenswelt nicht viel zu tun haben und durch belanglose Unterhaltung, durch Plattformen wie Facebook und vermeintliche Stars und Sternchen gefördert wird. Wie sagte doch Albert Einstein: »Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.«

 

In der Sendung Blickpunkt Sport kritisierte zuletzt Ewald Lienen, Ex-Trainer vom linkslastigen Kultklub FC St. Pauli, den albernen Autogramm- und Selfiewahn im Fußballsport. In anderen Ländern hätten die Menschen mehr Stolz und eine größere Wertschätzung von sich und ihrer Arbeit, weshalb es dort nicht so viele Autogrammjäger wie in Deutschland gibt. Lienen hatte schon als Spieler eine klare Haltung und wollte die Fußballweltmeisterschaft unter der damaligen Militärdiktatur in Argentinien boykottieren. Es bleibt abzuwarten, wie viele Fans und Akteure seinem Beispiel folgen, wenn die FIFA-WM im Emirat Katar ansteht.

 

Ein anderes Beispiel für Fußballrebellion, für Widerstand und Haltung stellen die (ehemaligen) Fans von Manchester United dar. Aus Protest vor der Übernahme ihres Klubs durch den US-Investor Malcolm Glazer, die Lancashire and Yorkshire Railway existiert seit 1921 nicht mehr, gründeten sie ihren eigenen Klub, den FC United of Manchester. Der von Fans geführte Sechstligist verfügt heute über ein vereinseigenes Schmuckkästchen, den Broadhurst Park mit Platz für 4.400 Fans, einen eigenen TV-Kanal und in den Ferien werden kostenlose Sportkurse für sieben bis 16-Jährige angeboten. Und das alles ohne einen Mäzen.

 

Ähnlich machten es wenige Jahre zuvor die Fans vom FC Wimbledon mit der Gründung des mittlerweile drittklassigen AFC Wimbledon. Bemerkenswert ist dabei, dass der AFC in Besitz einer von Fans errichteten Non-Profit-Organisation ist.

 

Auch die Anhänger von Austria Salzburg gingen nach der Übernahme durch den Brausekonzern Red Bull des Oligarchen Dietrich Mateschitz – Red Bull hat seitdem sechs Fußballfilialen mit Einheitslogo in vier Kontinenten hochgezogen, vielleicht schluckt man ja schon bald die restlichen neun »Tipico-Erstligisten« Österreichs – ebenso ihren eigenen Weg. Die Fans fusionierten aus Protest mit einem anderen Salzburger Verein und gründeten auf diesem Weg ihre Austria wieder. Zeitweise schafften es die Mozartstädter sogar in den Profifußball zurück. Dabei solidarisierten sich 23 Klubs aus Österreich, 53 aus dem restlichen Europa, zwei aus den USA und zuletzt die Fans von Maccabi Haifa unter dem Motto »Herz statt Kommerz« sowie zahlreiche Klubs unterer Ligen, mit der violetten Bewegung der Salzburger.

 

Aber sogar bei Hoeneß kommen langsam Zweifel auf, denn »irgendwann werden die Zuschauer das nicht mehr mitmachen«, wie der Präsident der FC Bayern München AG meint. Noch ärgerlicher als das Fernbleiben von Zuschauern, ist es allerdings, wenn, wie in unmittelbarer Nachbarschaft vom Büro Hoeneß geschehen, der Investor (Hasan Ismaik) nicht mehr so recht mitspielt. Dann heißt es runter in die höchste Amateurklasse. So wie beim TSV 1860 München. Und da braucht man eigentlich auch keine Fußballkonsumenten mehr, denn dort treffen sich jede Woche Tausende Fans so mancher Kultvereine, ob von Lok Leipzig (VfB Leipzig), Rot-Weiß Essen oder den Offenbacher Kickers wieder, um den echten Fußball, nicht jenen mit Fernglas aus der hundertsten Reihe weit über den Champagnerlogen, zu leben und den Geruch des Rasens zu inhalieren. Bei Wind und Wetter.

 

Die Seiten wechseln oder besser ganz vom Platz!

Der junge Ex-Verteidiger Poves aus Gijon hatte dagegen nicht mal mehr Lust auf unterklassigen Fußball. »Je besser man den Fußball kennenlernt, desto klarer sieht man, dass sich alles nur ums Geld dreht«, gab dieser damals der spanischen Zeitung »El Pais« zu Protokoll. Er wollte einfach nicht mehr Teil eines Systems sein, in dem wenige Leute viel Geld einkassieren, weil andere Menschen in Südamerika, Afrika und Asien sterben. Die Entscheidung des Spaniers, der sich damals als weder links noch rechts bezeichnete und Bücher wie »Das Kapital« oder »Mein Kampf« las, wird, von Hoeneß, Neymar und Kollegen womöglich genauso wenig nachvollzogen, wie der Widerstand gegen den modernen Fußballsport.

 

Solange sich Arbeiter die Hemden multinationaler Konzernmannschaften überstülpen und sich mit Showveranstaltungen, wie der US-Version eines deutschen Pokalfinales, von ihren eigentlichen Interessen ablenken lassen, rollt der Ball für die Investoren auf das richtige Tor. Bleiben die Ränge dabei voll, stört auch kein achtminütiges Pfeifkonzert.

 

Aber wer weiß, vielleicht kommen abgehängte Klubs eines Tages auf die Idee, eine Herz- statt Kommerzliga zu gründen, ohne Kapitalgesellschaften und Mäzene. Sponsoren würden Sponsoren bleiben, vernünftige Budgetobergrenzen könnten für Spannung und soziale Bindung zwischen Zuschauern und Akteuren sorgen. Denn eines ist klar: Bevor Gehaltsexzesse und der Handel mit Kindern durch gierige Eltern und Berater im Fußball durch die korrupte FIFA oder die nicht minder von Lobbyismus zersetzte Politik verboten werden, gewinnt ein von Fans geführter Klub wie Austria Salzburg die Champions League.

 

 

Mein Beitrag erschien bei Rubikon.

 

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