Sicherheit im Graubereich

Während des politischen Sommerlochs hat der Bundesinnenminister seine Vorschläge zur »Erhöhung der Sicherheit in Deutschland« vorgestellt. Kritik dafür hat er von Datenschützern, Juristen und sogar der Polizei geerntet. Wie hält es der Minister mit der Rechtsstaatlichkeit?

 

Am 11. August 2016 präsentierte Thomas de Maizière der Öffentlichkeit die sogenannte Berliner Erklärung, sein Maßnahmenpaket »zum Schutz der Bürger vor weiteren Anschlägen«. Dieses führe »jetzt schnell und absehbar zu mehr Sicherheit in Deutschland«, so der Minister. De Maizière setzt im Wesentlichen auf eine Personalaufstockung bei Polizei und Sicherheitsbehörden, mehr Integration und Prävention sowie »Entschlossenheit und Härte gegenüber Straftätern, Gefährdern und Förderern von Radikalisierung«. Dabei möchte er die Sicherheitsinteressen über den Datenschutz stellen und sieht den Cyberraum als Tatraum. Während die geplante Personalaufstockung bei den Behörden und die Förderung von Integration noch nachvollziehbar erscheinen, würden die weiteren von de Maizière vorgeschlagenen Maßnahmen zu gravierenden Einschnitten in die Freiheitsrechte sowie massiver Überwachung führen. Das könnte das gesellschaftliche Klima im Land nachhaltig verändern.

 

Die Liste des Ministers

Allein in dieser Legislaturperiode sollen nach bisheriger Beschlusslage 4 600 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden im Bund geschaffen werden. Bis zum Jahr 2020 sind insgesamt zwei Milliarden Euro zusätzliche Mittel vorgesehen, und der Bedarf an weiteren Zuschüssen für Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Behörden mit sicherheitsrelevanter Technik wird geprüft, wobei der Minister an zusätzliches Personal »in einer mittleren vierstelligen Größenordnung für mehrere Jahre« denkt. Bei der Bundespolizei ist eine neue Direktion »Spezialkräfte« geplant. Zusätzlich sollen die Streitkräfte im Innern eingesetzt werden. Entsprechende Übungen finden unter Beteiligung der Bundeswehr bereits seit über zehn Jahren im Bereich des strategischen Krisenmanagements (LÜKEX) statt.

 

Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern soll bei der Überwachung des Internets intensiviert, die Cyberaufklärung in einer »Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich« (ZITIS) zusammengeführt, verdeckte »Cyber-Ermittler« eingesetzt und sämtliche Kommunikation, ob über Telefon oder im Netz – soziale Netzwerke und Messenger-Dienste eingeschlossen –, verschärft werden. Auch EU-weit werden Informationen, etwa über Visa und Passagierdaten der Fluggesellschaften oder mit einem europäischen Ein- und Ausreiseregister, zentralisiert. Entsprechende Richtlinien wie die über die Verwendung von Fluggastdaten (PNR) wurden bereits beschlossen oder befinden sich in der Planungsphase. Eine neue EU-Feuerwaffenrichtlinie soll zügig in deutsches Gesetz umgewandelt werden. Im öffentlichen Raum sind die Installation weiterer Kameras und der Einsatz intelligenter Videotechnik, etwa von Software zur Erkennung von länger nicht bewegten Gepäckstücken, Lesegeräten für Autokennzeichen im fließenden Verkehr oder Systemen zur Gesichtserkennung, vorgesehen.

 

Lehrkräfte im Bereich der sozialpädagogischen Betreuung von Flüchtlingen sollen besser ausgebildet und Anlaufstellen in den jeweiligen Landessprachen eingerichtet werden. Das klingt so weit sinnvoll. De Maizières »Sicherheitspaket« sieht weitaus kritischere Maßnahmen vor, zum Beispiel will er »alle Personen, die wir durch Resettlement oder humanitäre Aufnahme in Deutschland aufnehmen« … »anlassbezogen einem Screening des öffentlich zugänglichen Teils von Social- Media-Zugängen« unterziehen. Das soll im Rahmen eines Pilotprojektes vorerst getestet werden, würde aber bedeuten, dass für Migranten andere Kriterien des Datenschutzes gelten als für Deutsche. Zusätzlich ist eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht geplant. Für Ausländer, »von denen eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit ausgeht«, möchte de Maizière das Aufenthaltsrecht weiter verschärfen und ein Schnellverfahren zur Abschiebung durchsetzen. Zu diesem Zweck soll ein neuer »Haftgrund der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« eingeführt werden. »Sympathiewerbung für den Terrorismus« möchte de Maizière unter Strafe stellen.

 

Populismus und ein Spiel mit der Angst

Einige von de Maizières Forderungen sind neu, andere schon länger im Gespräch oder werden bereits umgesetzt.

 

Die geforderte verbesserte Zusammenarbeit von Behörden auf Landes-, Bundes- und Europaebene oder die Personalaufstockung der Polizei ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und nicht neu. »Die Frage ist nur, warum das die Innenminister und -senatoren nicht längst umgesetzt haben, sie hatten jahrzehntelang in den verschiedensten Regierungskoalitionen die Möglichkeit dazu«, kommentiert André Schulz, Vorsitzender im Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Tatsächlich wurden jahrelang Stellen bei der Polizei gekürzt. Die Forderung des CDU-Ministers könne weder im Bund noch in den Ländern so einfach umgesetzt werden, ohne sich darüber mit den jeweiligen Koalitionspartnern abzustimmen. Man wolle sich wohl »wieder als die Partei der inneren Sicherheit positionieren«, so Schulz.

 

Vieles von dem, was der Minister in seiner Berliner Erklärung verlangt, sei schlicht Populismus oder diene nicht der inneren Sicherheit, so zum Beispiel die geforderte Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft oder das Burka-Verbot. Man sei nicht hilflos gegenüber Attentätern, doch müsse dabei alles nach »rechtsstaatlichen Prinzipien« ablaufen, und erkannte Sicherheitslücken müssten nach Ansicht von André Schulz mit »Sinn und Verstand« zielführend geschlossen werden.

 

Innenminister de Maizière bezieht sich mit seinem Maßnahmenkatalog auf die Vorfälle von Würzburg, Ansbach und München. Aus »Sorgen vor weiteren Anschlägen« müsse man schleunigst mehr für die Sicherheit tun, so der Minister.

 

Für Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, hätte mehr Überwachung »in diesen Fällen auch nichts geholfen, schließlich waren die Täter vorher allesamt nicht polizeilich aufgefallen und ihre Taten so gut wie nicht vorhersehbar«.

 

Kameras sind kein Schutz vor Anschlägen. Wer entschlossen ist, »viele Menschen mit sich in den Tod zu reißen, wird sich bestimmt nicht von einer Kamera davon abhalten lassen«, so Jelpke gegenüber Hintergrund. Überwachungskameras könnten sogar zusätzlich motivierend wirken, da viele Attentäter ja gerade die Öffentlichkeit suchen, um ihre Taten publik zu machen. »Videoüberwachung im öffentlichen Raum kann allenfalls nach einem Verbrechen zu dessen Aufklärung beitragen. Aber der Preis dafür wäre, überall dort, wo es potenziell einen Anschlag geben könnte – und das ist schlicht und einfach überall –, Kameras aufzustellen«, gibt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion zu bedenken. Kommt dann noch die Software zur Gesichtserkennung dazu, »haben wir die besten Voraussetzungen für eine lückenlose Überwachung aller Einwohner. Das wäre dann der Abschied vom Datenschutz und vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung«, warnt Jelpke.

 

Jelpke erinnert daran, dass Innenminister de Maizière ebenso wie seine Vorgänger »seit Jahren auf Konfrontationskurs mit dem Datenschutz« ist und »fast jedes gewichtige Überwachungsgesetz, das seit 2001 beschlossen wurde, vom Bundesverfassungsgericht gestutzt wurde«. Allerdings wurden die Gesetze nicht komplett verworfen. Die Vorratsdatenspeicherung, das Erfassen von Passagierdaten, gemeinsame Gremien oder Datenbanken von Polizei und Geheimdiensten zeugten »von einer klaren Tendenz weg vom freiheitlichen Rechtsstaat hin zum Kontrollstaat, der den Anspruch hat, möglichst zu jedem Zeitpunkt über Aufenthaltsort und Tätigkeit seiner Bürger informiert zu sein. Spätestens dann sind wir bei George Orwells 1984 angelangt«, ist sich Jelpke sicher. De Maizières Maßnahmen würden »schnell und absehbar zu einem weiteren Verlust unserer Grundrechte«, nicht aber zu mehr Sicherheit führen.

 

Grenzen des Rechtsstaates

»Der Rechtsstaat selbst formuliert klare Bindungen, an die er sich zu halten hat«, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Hintergrund-Interview. Die ehemalige Bundesjustizministerin ist Stiftungsratsmitglied der Sebastian Cobler Stiftung und setzt sich für die Bürgerrechte ein. Allerdings bewegen sich die staatlichen Stellen »sehr oft in einem Graubereich«, so Leutheusser-Schnarrenberger. Sie erinnert an den noch immer nicht aufgeklärten NSA-Skandal. In diesem Zusammenhang habe sogar Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), zugegeben, dass Rechtsvorschriften verletzt worden sind. Grundsätzlich müsse auch der Staat einhalten, was er von den Bürgern verlangt.

 

Eine Massenüberwachung mit Gesichtserkennungssystemen – diese könnte »nur für einen eng begrenzten Personenkreis konkreter Gefährder« und »aufgrund eindeutiger Rechtsgrundlage in Betracht kommen« – lehnt Leutheusser-Schnarrenberger ab. »Angenommen, die Technik wäre schon so weit, um die Gesichter genau dieser Personen herausfiltern zu können, dann wäre das eine intensive Überwachung von Teilen der Bevölkerung. Es darf auf keinen Fall eine Massenüberwachung stattfinden«, so die ehemalige Bundesjustizministerin. Dafür bedürfte es außerdem »sehr enger Anforderungen mit rechtsstaatlicher Kontrolle«, was die Genehmigung durch einen Richter sowie eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung erforderlich mache. »Sogar die flächendeckende Überwachung der Autokennzeichen – dabei handelt es sich nicht einmal um Gesichter, lediglich um Nummern – war verfassungsrechtlich nicht zulässig, da man in unangemessenem Umfang Bewegungsprofile der Bürger erstellen kann«, erklärt Leutheusser-Schnarrenberger.

 

Freiheit versus Sicherheit

Auch die Forderung von de Maizière, Sympathiewerbung für den Terrorismus unter Strafe zu stellen, hält die ehemalige Justizministerin für »reine Symbolpolitik«. Sie sagt: »Ich habe beispielsweise kein Verständnis für jemanden, der Sympathie für den IS äußert – aber muss ich ihn deshalb verhaften?« Wenn de Maizière von »Gefährden« oder »Förderern« spricht, so ist das ein sehr sensibler Bereich, denn einige Stellen möchten »so viele Personen wie möglich in ihrem Netz speichern«. Deshalb plädiert die FDP-Politikerin – ganz abgesehen davon, dass »konkrete Tatsachen« vorzuliegen haben – entschieden dafür, »Anforderungen diesbezüglich sehr eng und sehr konkret« zu formulieren. Das Innenressort habe in dieser Sache eine andere Auffassung als das Justizressort; die Justiz müsse in einem Rechtsstaat aber das entsprechende Korrektiv sein, so Leutheusser-Schnarrenberger.

 

Auch der Plan des Bundesinnenministers, einen neuen »Haftgrund der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« gesetzlich zu verankern, wäre für Leutheusser-Schnarrenberger ein »massiver Eingriff in die Freiheitsrechte«. Denn eine nicht stattgefundene Tat als Haftgrund herzunehmen, das »geht gar nicht!« und sei mit einem Rechtsstaatssystem nicht vereinbar. Außerdem könne ein Verdächtiger nach geltendem Polizeirecht bereits »wegen öffentlicher Gefährdung bis maximal 48 Stunden ohne richterliche Genehmigung festgesetzt« werden.

 

Um das Gesetz anwenden zu können, müsste rechtlich zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden werden – außer dieses Gesetz würde für alle, also auch für Deutsche, gelten, womit Aktionsräume für politische Aktivisten und Oppositionelle eingeschränkt werden könnten. »Sollten Leute, die gegen unser System sind, dann vielleicht weniger Rechte bekommen? Das ist absolut unvertretbar. Wir machen Bestimmungen für alle Menschen«, so Leutheusser-Schnarrenberger. Nur Regelungen des Aufenthaltsrechts, des Asylrechts sowie der Integration richten sich an Menschen aus anderen Ländern. Sollte man de Maizières Maßnahmen wirklich realisieren wollen, »dann hätte das Bundesverfassungsgericht einen Dauerauftrag, da viele Punkte nicht umsetzbar sind«, erklärt die ehemalige Justizministerin und Bürgerrechtlerin.

 

Dass de Maizière in seiner Erklärung den Cyberraum als Tatraum bezeichnet, hält Torge Schmidt, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Piratenpartei in Schleswig-Holstein, für »abstrus« – denn dann wären »alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auch Taträume«. Da es jetzt schon ausreichende Möglichkeiten gäbe, die Kommunikation von Tatverdächtigen zu verfolgen, sieht auch Schmidt die Gefahr, dass es durch trickreiche Bezeichnungen gelingt, den Überwachungsstaat »weiter zu etablieren und damit die Grundrechte der Bürger einzuschränken«. De Maizière strebe damit lediglich eine maß-und anlasslose Kontrolle des Internets an.

 

Technikgläubigkeit

Schmidt versteht zwar, dass der Innenminister und die Sicherheitsbehörden »die rechtliche Trennung von Telekommunikationsdiensten und Telemediendiensten« aufheben wollen, da die Verschlüsselung der Kommunikation bei einigen Messenger-Diensten die »Schnüffelei« erschweren würde, das Sammeln von Daten sei aber trotzdem möglich, wie Beispiele aus den USA zeigen. Auch Schmidt ist der Meinung, dass die Attentate von München, Würzburg und Ansbach durch den Einsatz von Biometrie nicht hätten verhindert werden können. »Es ist falsch, zu glauben, dass mehr Technik auch mehr Sicherheit bringt« oder ein geplantes Screening von Social-Media-Zugängen, wie von de Maizière bei Flüchtlingen geplant, Menschen mit krimineller Energie stoppen würde.

 

Wie der Psychologe Josef Bäuml, leitender Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum Rechts der Isar in München, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk äußert, werden Straftaten möglicherweise von Menschen begangen, die aufgrund früherer Erfahrungen gewisse psychische Veränderungen durchgemacht haben und diese Persönlichkeitsproblematik auch mitbringen. Vor diesem Hintergrund, »auf dem Boden dieser Persönlichkeitsstruktur« und in Kombination mit traumatischen Erfahrungen, kann es durchaus sein, dass »das Nervenkostüm dieser Belastung nicht mehr standhält und dann auch plötzlich schreckliche Taten passieren«, erklärt Bäuml.

 

Asylpolitik mit »Social Skills«

Aber wer ist gefährdet, gewalttätig zu werden? Das herauszufinden, so Bäuml, sei schon bei deutschen Patienten schwierig – bei Menschen, mit denen man sich in einer fremden Sprache verständigen muss, ist die Herausforderung noch größer. Hier wäre es wichtig, »muttersprachliche Experten zu haben oder geschulte Dolmetscher, die die entscheidenden Fragen herausarbeiten können«. Allerdings werden Dolmetscher von den Krankenkassen nicht finanziert. Die einzige psychiatrische und psychologische Hilfe für Migranten erfolge derzeit in Form von Broschüren in fremder Sprache, so der Oberarzt.

 

Ob de Maizière seine »soften« Maßnahmen wie eine bessere Betreuung von Geflüchteten oder den Ausbau von Stellen für Lehrkräfte im Bereich der sozialpädagogischen Betreuung und Traumatisierung tatsächlich umsetzt, bleibt abzuwarten. Auch wird sich zeigen, wie belastbar die Ankündigung, mehrere Tausend Stellen bei der Polizei zu schaffen, ist. Die Pläne des Ministers zum Ausbau des Überwachungsstaates dürften nach geltendem Recht nicht so ohne Weiteres zu realisieren sein und die Sicherheit in Deutschland zwar nicht erhöhen, dafür aber umso mehr dem Stimmenfang für die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und zum Abgeordnetenhaus in Berlin dienen.

 

 

Mein Beitrag erschien bei Hintergrund.

 

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