Gegen den deutsch-türkischen Schauspieler und AKP-Kritiker Ercan Özçelik liegt in der Türkei ein Haftbefehl wegen angeblicher »Propaganda für eine Terrororganisation« vor. Angezeigt wurde er von einem Denunzianten.
Gegen Ercan Özçelik, bekannt aus einigen Folgen als Tatort-Kommissar Bülent Îsi sowie aus weiteren Fernsehfilmen, liegt ein Haftbefehl in der Türkei vor. Das bestätigte der Schauspieler bei einem Treffen in München. Nur per Zufall habe er im türkischen Konsulat in Berlin davon erfahren. Özçelik wollte sich erkundigen, warum seine blaue Karte, die sogenannte »Mavi Kart«, nicht mehr gültig ist. Die Karte räumt ehemaligen türkischen Bürgern wesentliche Staatsbürgerrechte ein.
Nachdem Özçelik von den türkischen Behörden keine weiteren Informationen erhielt – er solle zur Klärung der Angelegenheit doch in die Türkei reisen, so die Aussage im Konsulat –, schaltete er einen Anwalt in der Türkei ein. Von diesem erfuhr der Schauspieler, weshalb die türkische Justiz ihn sucht: »Propaganda für eine Terrororganisation«. Außerdem teilte ihm sein türkischer Anwalt mit, dass er den Fall nicht übernehmen könne.
Wenig Interesse
Der in Berlin lebende Özçelik hatte nicht die mindeste Ahnung, wie es zu dem Vorwurf kam, da er »weder Mitglied irgendeiner Organisationen« sei, noch hat er jemals für »irgendeine Terrororganisation Werbung« gemacht, allenfalls in sozialen Medien seine Meinung zu politischen Verhältnissen in der Türkei geäußert.
Özçelik, der eigentlich zur Beerdigung seiner Mutter nach Istanbul reisen wollte, wandte sich daraufhin vergebens an Cem Özdemir von den Grünen sowie an mehrere Politiker der SPD, »darunter auch das Büro des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier«, so Özçelik. Er versuchte, auch Kontakt mit EU-Abgeordneten aufzunehmen. Es kam lediglich zu einem Treffen in Berlin mit Sevim Dağdelen von der Linkspartei, die ihm allerdings »vom Tisch weg« zwei Anwälte, einen in Deutschland und einen in der Türkei, vermitteln konnte.
Der von Dağdelen empfohlene Rechtsanwalt und ehemalige Abgeordnete der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP in der Türkei, Hüseyin Aygün, mailte Özçelik dann auch die Akten zu, aus denen ersichtlich wird, wie es zu dem Haftbefehl gegen ihn kam.
Ein Denunziant
Bei einem im Jahr 2016 von Özçeliks geleiteten Schauspielworkshops in Istanbul war dem deutsch-türkischen Filmschauspieler ein Teilnehmer in Erinnerung geblieben, der sich damals weniger für die Schauspielerei interessierte, sich dafür aber verstärkt gegen die Einladung eines Gastdozenten wegen dessen »prokurdischer« Haltung hervortat. Der Dozent war İlyas Salman, ein bekannter türkischer Schauspieler, Regisseur und Autor. Dieser Teilnehmer, ein »jüngerer Türke«, schrieb Özçelik einige Zeit später, während des Putschversuchs vom 15. Juli 2016 in der Türkei, über die Chat-Gruppe des Workshops an. Wegen der politischen Ereignisse kam es an diesem Tag zu einem Disput zwischen den beiden.
Zusammenfassend, so Özçelik, habe er in dem privaten Chat lediglich seine ablehnende Meinung über die Regierung der religiös-nationalistischen AKP zum Ausdruck gebracht. Diese hätte aufgrund der Verfolgung und Inhaftierung von Oppositionellen, Journalisten oder Kritikern, die lediglich ihre Arbeit verrichten oder ihre Bürgerrechte wahrnehmen, einen Putsch verdient. Was Özçelik in dem Chat schrieb, passte dem Teilnehmer nicht, schließlich sei er, während der Putsch noch in vollem Gange war, auf den Straßen Istanbuls unterwegs und ein bekennender AKP-Anhänger.
Özçelik erinnert sich, dass der junge Mann damit gedroht hatte, ihn wegen seiner Aussagen anzuzeigen, was auch einige Monate später geschah. Dabei legte der Denunziant das Streitgespräch in der Chat-Gruppe sowie Äußerungen von Özçelik auf Facebook vor.
Özçelik, der 1966 in Ordu geboren wurde – er kam mit sechs Jahren nach Deutschland – und Alevit ist, sieht die Aleviten, die laut Veliyettin Ulusoy, einer zentralen Figur der türkischen Aleviten, rund 30 Prozent der Bevölkerung in der Türkei ausmachen würden, in seinem Geburtsland ohnehin schon unter Generalverdacht. Der gegen ihn ausgestellte Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul – der Schauspieler sucht kurz in seinem Smartphone, öffnet das Dokument und reicht es über den Tisch – stammt vom Januar 2017. Özçelik geht davon aus, dass der Denunziant ein AKP-Spion war.
Kein Risiko
Seitdem der Schauspieler von dem Haftbefehl weiß, ist er nicht mehr in die Türkei gereist, obwohl sein Anwalt in Ankara, Hüseyin Aygün, meinte, er solle doch kommen, um die Sache zu klären. Für Mitte Juli ist ein Termin zur Vernehmung in Istanbul angesetzt. Doch Özçelik wird nicht erscheinen, er befürchtet, in Untersuchungshaft zu landen. Über seinen Rechtsanwalt in der Türkei versucht er, eine Anhörung in Deutschland zu ermöglichen. Parallel dazu läuft über seinen Rechtsanwalt in Heidelberg, den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Memet Kiliç, eine Anfrage, ob denn auch ein internationaler Haftbefehl gegen Özçelik vorliegen würde, da die türkische Justiz gern in vorauseilendem Gehorsam die Linie der AKP-Regierung durchsetzt.
Auch wenn die deutschen Medien, mit Ausnahme der jungen Welt, seinen Fall bisher nicht aufgegriffen haben, steht für Özçelik fest, dass er sich den Mund nicht verbieten lassen will. Für ihn gilt, dass er sich »jetzt erst recht« kritisch gegenüber der Regierung von Erdoğan, dem Regime, wie er sagt, äußern und die demokratischen Oppositionsparteien unterstützen wird. Er möchte, dass sich die Menschen nicht länger durch Denunziantentum verunsichern lassen und ihre Meinung über die politische Situation in der Türkei ohne Angst vor Repressionen äußern. Und wenn es nur ein Post in sozialen Medien ist. Denn, so die Einschätzung von Özçelik, es tut sich was, die Menschen trauen sich wieder mehr zu.
Entschlossenes Handeln
Wie es in seinem Fall weitergehen wird, ist noch unklar. Sein Anwalt in der Türkei hat jede Menge zu tun. Erst neulich hätte er einen jugendlichen Regierungskritiker vor der Untersuchungshaft bewahren können. Von der deutschen Politik und den Medien fordert Özçelik mehr Unterstützung, nicht nur für sich, dafür müsse er ja nicht erst verhaftet werden, sondern insgesamt mehr Engagement und konkrete politische Maßnahmen gegenüber dem despotischen Vorgehen Ankaras. Aber dem stehen womöglich Rüstungsinteressen oder Bündnisverpflichtungen im Weg.
Bei der Wiederholung der Oberbürgermeisterwahl am 23. Juni in Istanbul hofft Özçelik jedenfalls auf einen Sieg des CHP-Kandidaten Ekrem İmamoğlu. Es wäre ein wichtiges Zeichen für die Türkei, wie er meint.
Mein Beitrag erschien bei RT Deutsch.
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