Wer glaubt, dass sich die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA nach den Angriffen durch die Trump-Regierung unter der neuen Administration von Joe Biden nun weitgehend problemfrei entwickeln, irrt sich.
Text: Raina Zimmering
Wenn auch nicht mehr der Bau einer Mauer das vorrangige Thema in den Beziehungen sind, so spielen langfristig wirkende Konfliktlinien am geographischen Übergang vom anglikanischen zum lateinischen Amerika, dem Scheidepunkt zwischen dem globalen Norden und globalen Süden und die geo-strategische Position als Durchgangsland der Migrationsströme aus Mittel-, Südamerika und der Karibik in die USA eine sehr nachhaltige Rolle. Konkret müssen dabei die wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos von den USA und die unterschiedlichen entwicklungspolitischen Strategien zwischen den beiden Präsidenten Joe Biden und Lopez Obrador genannt werden. Rund 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA und ein Großteil der Auslandsinvestitionen kommen aus den USA. Für die USA nimmt Mexiko Platz Drei unter den Außenhandelspartnern ein. Zweitens ist ein weiterer gewichtiger Faktor für die Beziehungen das Thema der Auslandsüberweisungen der US-Mexikaner (Remesas) und die Migration. Circa 38 Millionen Mexikaner leben in den USA, die 2020 40,6 Milliarden US -Dollar nach Mexiko überwiesen. 13 Millionen US-Amerikaner machen jährlich Urlaub in Mexiko oder lassen sich dort medizinisch behandeln.1 Diese Abhängigkeiten zwischen beiden Ländern erforderten schon immer besondere Beziehungen, die sich zwischen Annäherung und Entfernung bis hin zu Konflikten bewegten.
Wenn man sich diese Tatsachen vor Augen führt, scheint es nicht unlogisch, dass der mexikanische Präsident nach den US-Wahlen dem Sieger Biden nicht sofort gratulierte. Er erntete dafür von der politischen Opposition harsche Kritik. Überwiegend von den ehemaligen großen Parteien wie PAN (Partei der Nationalen Aktion), PRI, (Partei der Permanenten Revolution) und der PRD (Partei der Demokratischen Revolution).
Die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter Trump waren vier Jahre lang äußerst ambivalent. Einerseits waren sie von den verbalen Beleidigungen durch Trump gegen »die« Mexikaner und lautstark vorgetragenen Drohungen gegen das Land geprägt. Den Bau der Grenzmauer sollte die mexikanische Regierung bezahlen. Trump drohte Mexiko ständig mit Sanktionen. Diese Vorgehensweise diente in erster Linie der Befriedigung des Trump-Lagers, das überwiegend rassistisch und latinophob eingestellt ist.
Die andere Seite der Beziehungen ist viel weniger bekannt und hat sich mehr im Verborgenen, abgespielt, ist aber für Mexiko umso wichtiger. Als der mexikanische Präsident die USA besuchte, schien er sich mit Trump recht gut zu verstehen. Auf dem Treffen wurde über die Rolle Mexikos bei der Eindämmung der Migration beraten und für den Einsatz mexikanischer Militärs und die Bildung der Nationalgarde als Grenzschutzbehörden grünes Licht gegeben. Die USA verschoben somit ihre Grenzsicherung gegen die lateinamerikanische Migration nach Süden, wobei Mexiko die »Polizeiarbeit« für die USA übernehmen musste. Das mexikanische Militär und die Nationalgarde sollten die Migration sowohl an der Grenze zwischen den USA und Mexiko als auch an der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala abwehren. Außerdem verpflichtete sich Mexiko, Migrant*innenlager zu errichten, von denen aus Asylanträge in die USA gestellt werden konnten. Mexiko erhält dafür finanzielle Unterstützung. Während der Pandemie, als die USA ihre Grenzen schlossen und keine Asylanträge mehr bearbeiteten, hatte Mexiko mit großen Problemen der Versorgung der Migranten und der Pandemieeindämmung zu kämpfen und begann, ähnlich wie die USA, Migrant*innen abzuschieben.
Die wichtigste Tatsache in den Beziehungen Mexikos zur Trump-Administration war das T-MEC-Abkommen mit den USA und Kanada als Nachfolger des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. Bei dem neuen Abkommen konnte Mexiko einige Interessen unterbringen, die gegenüber NAFTA eine Verbesserung darstellten. Dazu gehören Arbeitsrechte mexikanischer Arbeiter in den USA. Außerdem hielt sich Trump nicht an die buchstabengetreue Umsetzung des Vertrages und überließ Mexiko einen relativ großen Handlungsspielraum bei der Umsetzung seiner »Vierten Transformation«, die Industrialisierung und Sozialpolitik unter staatlicher Kontrolle bedeutet. Angesichts dessen rückte Trumps Rhetorik in den Hintergrund.
Ein weiterer Punkt ist, dass Lopez Obrador eine Militarisierung des Staates vorantreibt, die zum Kampf gegen die Drogenkartelle und Korruption dienen soll. Lopez Obrador löste die Bundespolizei auf und bildete aus einem Teil davon und aus Armee und Marine die Nationalgarde, die innere Aufgaben, insbesondere gegen den Drogenhandel und Korruption übertragen bekam und dem Verteidigungsministerium unterstellt wurde. In diesem Rahmen verpflichtete Obrador das Militär zur Übernahme einer großen Anzahl von öffentlichen zivilen und wirtschaftlichen Aufgaben wie zum Bispiel Führungspositionen beim Bau des größten Flughafens Santa Lucia, der Kontrolle der Häfen, bei der Leitung des Zolls, von Kraftwerken und beim Bau des Maya-Zuges im Süden Mexikos, das als Tourismusprojekt ausgegeben wird, aber eher auf die wirtschaftliche Erschließung des Südens Mexikos abzielt. Das Militär beeinflusst zunehmend das zivile Leben: so verteilt es Schulbücher, wird in die Pandemiebekämpfung eingebaut und organsiert Baumbepflanzungsprojekte. Die fundamentale Rolle des mexikanischen Militärs soll die »Vierte Transformation« absichern, das zwar mit Hilfe des transnationalen Kapitals, aber unter nationaler Kontrolle verlaufen soll und sich durch seinen Neokonservatismus von der neoliberalen Politik der vorausgegangenen Regierungen unterscheidet. Umweltstandards und Basisdemokratie werden dabei missachtet.
Neue Ambivalenzen in den Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter der neuen Biden-Regierung
Unter der neuen US-Regierung des Demokraten Joe Biden erhofft sich Mexiko eine bessere Rhetorik und Zusammenarbeit in internationalen Institutionen wie der WTO, OECD und der UNO. Dies ist für Mexiko von erheblicher Bedeutung, da es zwischen 2021 und 2023 Mitglied des Menschenrechtsrates der UNO, des UN-Sicherheitsrates und der G-20 sein wird.
Andrerseits sieht man bei einer Biden-Administration erhebliche Schwierigkeiten auf sich zukommen. Die Ambitionen der neuen Administration, ihren Führungsanspruch als »Weltordnungsmacht« und »Führungsmacht in der Hemisphäre« effizient durchzusetzen, werden sich auf den innen- und außenpolitischen Handlungsspielraum Mexikos auswirken. So werden die »Vierte Transformation« und die neue Rolle des Militärs in Mexiko großen Herausforderungen gegenüber stehen. Die wirtschaftlichen Mega-Projekte der Regierung, mit denen Obrador nationale Souveränität und staatliche Kontrolle zurück gewinnen will, werden den Umweltauflagen des Pariser Klima-Abkommens, das die USA unterstützen, und dem T-MECA nicht entsprechen können. Ebenso verhält es sich mit der Militarisierung des Landes, das von Obrador als Weg zur Kontrolle der Drogenmafia und der Korruption gedacht ist. Gegenüber den USA wurde die Militarisierung durch die Absicherung der Grenzen gegen die Migration gerechtfertigt. Nun schlägt die US-Regierung einen Kurswechsel in der Migrationsfrage ein, bei der das Schwergewicht auf die Bewahrung der Menschenrechte und die Migrationsbekämpfung in den Herkunftsländern gelegt werden soll und eine militärische Absicherung unnötig macht. Doch hat die neue US-Administration trotz Maßnahmen zur Legalisierung der in den Lagern wartenden Migrant*innen keine Lösung für die nachrückenden Ströme, die wiederum nach Mexiko durchqueren. Eine von der kontinentalen Sicherheitsstrategie der USA und der NATO unabhängigen Militarisierung in ihrem Nachbarland, das diese zur Absicherung eines eigenen Entwicklungsweges einsetzt, werden die USA zukünftig versuchen zu verhindern.
Der Fall Cienfuegos – Feuerprobe der gegenseitigen Beziehungen
Die Auseinandersetzungen um die Souveränität Mexikos gegenüber den USA spiegeln sich besonders in dem Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Salvador Cienfuegos wider. Dieser wurde wegen Drogenhandels und Geldwäsche, ohne vorherige Absprache mit Mexiko, während eines Urlaubsaufenthaltes in den USA verhaftet.1 Die US-amerikanische Drogenschutzbehörde DEA (Drug Enforcement Administration) hatte Cienfuegos bereits 12 Jahre beobachtet. Die mexikanische Regierung kritisierte dieses Vorgehen der DEA, wie auch deren Agieren innerhalb Mexikos. Die DEA kam auch dem mehrfachen Ersuchen des mexikanischen Präsidenten nicht nach, über die Aktivitäten US-amerikanischer Kartelle in Mexiko zu informieren. Offensichtlich ist das Vertrauen in den Nachbarstaat durch diese US-amerikanische Behörde erheblich gestört. Die Verhaftung von Cienfuegos in den USA rief den Widerstand des mexikanischen Militärs hervor, was Obrador veranlasste, Cienfuegos´ Auslieferung nach Mexiko zu erwirken, indem er die Beziehungen zu den USA in Frage stellte. Gleichzeitig versprach Obrador, den Prozess gegen Cienfuegos in Mexiko fortzusetzen. Nach der Prüfung des Falles durch die mexikanische Staatsanwaltschaft wurde Cienfuegos jedoch wegen fehlerhafter Beweise der DEA freigelassen. Um sich des Vorwurfs der Straflosigkeit zu entziehen, ließ Obrador die geheime Akte der DEA veröffentlichen und verabschiedete ein neues Sicherheitsgesetz, nach dem ausländische Geheimdienste nur in Zusammenarbeit mit den Behörden in Mexiko agieren dürfen, was zu erheblichen Unstimmigkeiten mit den USA führte. Auch wenn der Fall Cienfuegos die Militarisierung Mexikos fragwürdig macht, so lässt er auf künftige Auseinandersetzungen zwischen der mexikanischen und US-amerikanischen Regierung und eine intensivere Annäherung an Lateinamerika als mögliche Option erscheinen.
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