Ausweichende Floskeln

Auch in der Coronakrise ist kritisches Nachfragen noch möglich — man sollte nur nicht auf ehrliche Antworten hoffen.

 

Manche Fragen beantwortet man gern, manche weniger. Speziell in der Coronakrise unterscheiden Politiker, Leitmedien und Konzerne zwischen genehmen und unangenehmen Fragen. Die Schar der Hofberichterstatter kennt in der Regel nur die eine Variante — jene Fragetechnik, die ablenkt oder dem Befragten schmeichelt. Die wenigen kritischen und unabhängigen Journalisten stellen dagegen häufiger die unangenehmen Fragen. Eigentlich sollte Journalismus ja grundsätzlich kritisch sein und sich von PR unterscheiden. Oft springen einem die offensichtlichen Missstände, Widersprüche und die Doppelmoral mancher Akteure geradezu entgegen. Das darf man in seinen Fragen nicht nur aufgreifen — man sollte auch Antworten erwarten dürfen. Doch dem ist längst nicht so. Ein kleiner Erfahrungsbericht aus dem Corona-Sommer 2020.

 

Auch ich habe so einige Erfahrungen in der Coronakrise gemacht, weshalb ich mich schon fast zum Nachfragen gezwungen sah. Auf meine doch eher kritischen Presseanfragen erhielt ich aber keine Antworten, weder von Transparency International Deutschland wegen der Diffamierung des ehemaligen Mitglieds im Transparency-Vorstand, Wolfgang Wodarg, noch von EuroMOMO, einem Projekt zur Überwachung der Übersterblichkeit in einigen Ländern Europas, wegen diverser Veränderungen in der Aufbereitung von Grafiken zur Coronakrise noch vom İstanbul Havalimanı, dem Flughafen Istanbul, wegen der vermutlich lukrativen Corona-Teststation am Flughafen.

 

An Turkish Airlines hatte ich Ende August 2020 auch eine Presseanfrage gerichtet, da ich schon seit einigen Jahren Kunde der Fluglinie bin. Der Anlass: Am 25. August 2020 wurde mir der Zutritt für den von mir gebuchten und bezahlten Flug von Istanbul nach München verweigert. Ich hatte keinen aktuellen und negativen COVID-19-Test parat. Das sei jetzt für alle Flüge nach Deutschland nötig. Die deutschen Behörden verlangten das. Nach Österreich oder in die Schweiz könne ich zur Weiterreise fliegen, ganz ohne einen Test. Meinen Einwand, den Test bei der Ankunft am Flughafen in München machen zu lassen, fand ich zwar logisch, aber er war nicht erfolgreich.

 

Also musste ich an diesem Tag, wie Hunderte andere Passagiere auch, für 250 Türkische Lira (rund 30 Euro) einen Coronatest an der Flughafen-Teststation machen lassen. Nach sechs Stunden und mehrmaligem Nachfragen hatte ich mein Ergebnis. Nun gab es aber erst am Folgetag einen Flug nach München. Die Kosten der Umbuchung trug die Linie, ich die Übernachtung im Flughafenhotel.

 

Am nächsten Tag stand ich mit Test bereit. Und siehe da, vor mir stand ein Passagier, der auf Nachfrage keinen Coronatest vorlegen konnte. Der kleine, aber feine Unterschied: Der Herr trug eine Lufthansa-Pilotenuniform. Nachdem sich die Mitarbeiterin kurz zu ihrem Kollegen gedreht hatte, war der Coronatest nicht mehr so wichtig. Der Mann saß eine Reihe hinter mir. Also bat ich Turkish Airlines schriftlich und mit Fristsetzung um Presseauskunft zu meinen Fragen:

 

Weshalb verlangt Turkish Airlines einen negativen COVID-19-Test, einen mit Kosten verbundenen unangenehmen körperlichen Eingriff für Flüge nach Deutschland, konkret nach München, wenn aus der Türkei einreisende Passagiere am Flughafen in München einen COVID-19-Test machen können?

 

Hat Turkish Airlines in dieser Sache ein Abkommen mit deutschen Behörden abgeschlossen und wenn ja, welches, oder auf welcher rechtlichen Grundlage ist die Fluglinie verpflichtet, für deutsche Behörden in der Türkei zu prüfen? Wenn kein Abkommen mit deutschen Behörden besteht, welche rechtliche Grundlage ermächtigt die Fluglinie dazu, einen negativen COVID-19-Test zu verlangen beziehungsweise gesunden Passagieren ohne Symptome, aber mit positivem COVID-19-Testergebnis die Weiterreise zu untersagen?

 

Wieso und auf welcher Rechtsgrundlage wird ein Passagier in Pilotenuniform, ohne einen negativen COVID-19-Test vorlegen zu können, an Bord gelassen, andere Passagiere oder eben Passagiere anderer Berufsgruppen aber nicht? Liegen Turkish Airlines wissenschaftliche Belege dafür vor, dass sich SARS-CoV-2-Viren nur auf bestimmte Berufsgruppen übertragen lassen oder bestimmte Berufsgruppen davon ausgenommen sind? Wenn ja, mit der Bitte um Weitergabe der Quelle. Wie schließt die Fluglinie aus, dass sich die Personen in der Zeit zwischen dem negativem Testergebnis und dem Abflug nicht doch noch mit SARS-CoV-2-Viren infiziert haben? Weshalb gilt an Bord eine Maskenpflicht, wenn ausschließlich Passagiere mit negativem COVID-19-Test an Bord gelassen werden?

 

Muss das Bordpersonal womöglich keinen negativen COVID-19-Test nachweisen und wenn doch, in welchen zeitlichen Abständen? Wieso gilt an Bord Maskenpflicht, nicht aber auch ein Mindestabstand? Vor dem Einsteigen wird die Körpertemperatur aller Passagiere gemessen. Was passiert, wenn ein Passagier zwar einen negativen COVID-19-Test vorlegt, aber eine zu hohe Temperatur hat? Wie oft war das bisher der Fall, und auf welcher Rechtsgrundlage geschieht das dann? Selbst auf zweimaliges Nachfragen hielt die Fluglinie eine Beantwortung meiner Fragen für unnötig.

 

Antworten die keine sind

Und wie reagieren die Medien auf Nachfragen zur eigenen Corona-Berichterstattung? Etwa die öffentlich-rechtliche und mit Zwangsgebühren finanzierte Tagesschau, genauer gesagt der Südwestrundfunk (SWR)? In diesem Fall lautete meine Presseanfrage:

 

»Zu Ihrem Beitrag ‚Wie tödlich ist das Coronavirus?‘ vom 1. April 2020 (1) bitte ich um Antworten auf folgende Fragen: Sie schreiben von ‚Infizierten‘ und ‚in Deutschland gibt es relativ viele nachgewiesene Infektionen in der mittleren Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen.‘ Ist ein ‚Infizierter‘ grundsätzlich auch ein ‚Erkrankter‘? Wenn nein, wieso wird nicht zwischen symptomfreien Infizierten und tatsächlich erkrankten Patienten unterschieden? Wie sehen die Zahlen dann aus? Sie schreiben: ‚Immer mehr Patienten in Deutschland müssen wegen einer schweren Erkrankung durch das Coronavirus auf Intensivstationen behandelt werden.‘ Wie sieht die gegenwärtige Auslastung der Intensivstationen mit diagnostizierten COVID-19-Patienten im Vergleich zu anderen Coronavirus-Infektionen aus? Sie schreiben, dass die Zahl der Infizierten vor zwei Wochen stark gestiegen sei. Wenn in einer Woche oder in einem Land etwa 10.000 Tests durchgeführt werden und dabei 1.000 Infektionen festgestellt werden, in der nächsten Woche oder in einem anderen Land aber 20.000 Tests und 2.000 Infektionen, dann ist daraus keine höhere Ausbreitung des Virus abzuleiten, sondern nur eine größere Zahl an Messungen, wie das Magazin Multipolar am 28. März 2020 schreibt.

 

Hat sich im genannten Zeitraum von zwei Wochen auch die Zahl der Messungen erhöht? Wenn ja, um welchen Wert, und wie lautet das Ergebnis dann? Weshalb wird das nicht genannt? Sie schreiben: ‚Auf die hohe Anzahl von Infizierten folgt einige Wochen später eine hohe Anzahl von Todesfällen.‘ Wo? Auf welche Quellen beziehen Sie sich dabei? Welche Mortalität liegt demnach vor? Um welche Todesursachen handelt es sich dabei? Sie schreiben: ‚Ab dem 50. Lebensjahr steigt das Risiko, durch eine Infektion mit dem neuen Coronavirus zu sterben.‘ Wie hoch ist das Risiko in etwa, ab dem 50. Lebensjahr durch eine Infektion mit dem neuen Coronavirus zu sterben, und auf welche Quellen beziehen Sie sich dabei? Erst am Ende des Beitrags schreiben Sie: ‚Deutsche Virologen schätzen, dass zwischen 0,3 und 0,7 Prozent der Infizierten durch das Virus in Deutschland sterben könnten.‘ Welche Werte liegen Ihnen für vergleichbare Viruserkrankungen, etwa Influenza, vor und warum ordnen Sie diese Zahlen nicht ein?

 

Sie nehmen, auch in Bezug auf Deutschland, keine Unterscheidung zwischen echten coronabedingten Todesfällen und einer zufälligen Viruspräsenz zum Todeszeitpunkt vor, wie auch Professor Sucharit Bhakdi in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel grundsätzlich feststellt. Laut dem Virologen Hendrik Streeck ist in Heinsberg ein 78 Jahre alter Mann mit Vorerkrankung an Herzversagen ohne eine Lungenbeteiligung durch SARS-CoV-2 gestorben. Da er infiziert war, taucht er in der COVID-19-Statistik auf. Warum unterscheiden Sie nicht in Todesfälle mit oder durch COVID-19, und weshalb erfolgt kein ausdrücklicher Hinweis darauf?«

 

Die Antwort des SWR:

 

»Vielen Dank für Ihre Mail an den Südwestrundfunk. Soweit Sie in Ihren Fragen nach der Methodik der Datenerhebung und den Grundlagen unserer Analyse fragen, können wir dazu grundsätzlich sagen: Bei allen Datenanalysen des SWR wird die jeweilige Quelle und gegebenenfalls die Methodik unter den Grafiken/Charts ausgewiesen. Wir beziehen dabei sowohl die vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Zahlen ein als auch Zahlen der Gesundheitsbehörden der Länder. Manchmal weichen diese Zahlen etwas voneinander ab. Das hat mit unterschiedlichen Zeitpunkten der jeweiligen Datenübermittlung an das RKI und durch die Landesbehörden zu tun. Unser Datenjournalismus-Team arbeitet in der Corona-Berichterstattung eng mit der SWR-Wissenschaftsredaktion zusammen. In beiden Teams gibt es ausgewiesene Fachleute mit entsprechenden Ausbildungen, beispielsweise Medizin und DataScience. Freundliche Grüße.«

 

Auf meine Bitte, jetzt doch noch die gestellten Fragen zu beantworten, reagierte der SWR dann nicht mehr (2).

 

So sieht sie also aus, die hochgelobte Pressefreiheit in der neuen Normalität. Immerhin kann man noch fragen, was man will. Zumindest ins Nirwana.

 

 

Mein Beitrag erschien bei Manova.

 

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Quellen:
(1) https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/datenanalyse-corona-tote-101.html
(2) https://www.publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?f=44&t=3189