Der Gipfel – Weit weg von Demokratie

Wohin ich schau: Polizei. Die Innenstadt von München ist voll mit Polizisten, in Uniform und in Zivil, die Bürger im Blick, wie die vier Männer des dunklen BMW auf dem Taxistandplatz am Stachus. Irgendwo müssen sie doch sein, die von der Landesregierung heraufbeschworenen Krawalltouristen. Das war am 4. Juni 2015, Donnerstagnachmittag, Ende der G7-Demo mit 40.000 Teilnehmern, hellblauem Himmel und viel Hitze.

 

Seitdem sammeln sich um den Altstadtring ständig irgendwo in dunkler Kampfmontur ausgerüstete Polizeimannschaften bei ihren Wagenkolonnen. Aufgepumpte Typen mit engen Polizei-Shirts, viele mit rasiertem Einheitshaarschnitt, Sonnenbrille und Schlagstock, Freunde und Helfer eben. Das heißt: nicht jedermanns Freund und Helfer, eher die einer kleinen, reichen und einflussreichen Gruppe, der G7-Teilnehmer. Im Radio sagt eine junge Moderatorin, dass 17.000 »liebe« Polizisten, zählt man die Beamten von Bundespolizei und Bundeskriminalamt dazu, sind es 20.000, rund um den Gipfel im Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen und München im Einsatz sind und schwitzen. 360 Millionen Euro soll die Inszenierung der 48-Stunden-Konferenz in einer bayrischen Märchenwelt nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler kosten. Horst Seehofer (CSU), Anführer des Empfangskomitee, hat den Gästen gar einen Luxus-Bildband über Bayern für 300.000 Euro anfertigen lassen.

 

Rund um den Gipfel gibt es von den lieben Polizisten dann die eine oder andere Repression gegen Journalisten der falschen Seite, wie die junge Welt in ihrem Artikel »Pressefreiheit auf Bayerisch« berichtet. Überraschend? Nach Heiligendamm, Stuttgart oder Frankfurt? »Die Polizei lügt wie gedruckt«, sagt Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie auf den NachDenkSeiten über die G7-Proteste. Im Vorfeld dieser Treffen wird Kritik an der militanten und marktradikalen Politik der Teilnehmerstaaten kriminalisiert, um die Öffentlichkeit fügsam zu machen. Und da wird eben auch gelogen, wie Polizeisprecher Axel Falkenberg nach Heiligendamm 2007 zugab. Die Strategie der Spannung, es gibt sie noch.

 

Garmisch, dass ist der Ort mit dem merkwürdigen Demokratieverständnis in dem seit Jahrzehnten von einer Partei regierten Bayern. Kriegstreiber und Kolonialherren – 7.000 Mitreisenden inklusive – nehmen die Gemeindeführer dort gerne und mit allem erdenklichen Luxus für »ungezwungene« Gesprächsrunden in »entspannter« Atmosphäre und auf Kosten der Allgemeinheit auf, den Demonstranten bleibt eine Wiese zum Campen.

 

Mobile Gefängniszellen und über 100 Richter und Anwälte stehen in Garmisch vorsorglich für Schnellverfahren zur Verfügung, falls der eine oder andere Besucher vergessen sollte, dass die Grundrechte bei G7 nichts zu melden haben und man sich hier, zwar in Bayern, aber gefälligst immer noch in Deutschland befindet. Da wird dann auch mal das Schengen-Abkommen einfach so außer Kraft gesetzt, um Grenzkontrollen durchführen zu können. Die Bundesregierung schreibt auf ihrer Themenseite zum Gipfeltreffen: »Das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, ist ein Grundrecht, das im Grundgesetz steht. Die Polizei in Bayern wird den sicheren Ablauf des Gipfels, den Schutz der Bevölkerung und das Recht auf Versammlungsfreiheit garantieren.« Und damit abtrünnige Bauern nicht auch noch weitere Wiesen für die Errichtung von Camps an Mitglieder der vor sich selbst zu schützenden Bevölkerung vermieten, sollte auf politische Anweisung alles getan werden, bis hin zur öffentlichen Ächtung, wie der Bürgermeister einer betroffenen Gemeinde vor Ort verrät. In Bayern schlägt man die Hacken bei Anweisungen halt noch ordentlich zusammen. Das muss wohl am königlichen Demokratieverständnis, stehengeblieben irgendwo zwischen Hexenjagd und Götzendienst, liegen.

 

Garantiert ironiefrei versteht die Bundesregierung G7 dann auch »als Wertegemeinschaft für Frieden, Sicherheit und ein selbstbestimmtes Leben weltweit.« Die Ziele: »Freiheit und Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Wohlstand und nachhaltige Entwicklung sind zentrale Grundsätze der G7.« Würde nur das Volk für die Politik der König sein, man müsste diese Formulierung nicht als Beleidigung abtun.

 

Bis zu 50 Demonstranten wurden in Hör- und Sichtweite des Treffens zugelassen, für den freien Überwachungsstaat Bayern zu viel an demokratischem Zugeständnis. Der Herr (-schaftsgesandte) Obama und die restliche Gefolgschaft sollen sehen, dass man den Laden hier im Griff hat. Zeit, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) das Wort zum Sonntag von Krün bei Elmau zu geben: »Das muss man erst hinkriegen: gestern die Demonstranten wegschwemmen und heute so ein Wetter.«

 

Das Schloss Elmau wird von einer 16 Kilometer langen Frontlinie markiert und mit bis zu vier Meter hohem Absperrzaun in eine Sicherheitszone verwandelt. Im erweiterten Frontring werden, neben dem Heer an Polizisten, Kameras und Drohnen zum Einsatz kommen, um menschliche Bewegungen im Hochsicherheitsnaturschutzgebiet zu erfassen. Denn für zivilen Ungehorsam hat die Polizei im Freistaat nichts übrig. »Sollte es zu unfriedlichen Aktionen oder Landfriedensbrüchen kommen, wird die Polizei mit niedriger Eingreifschwelle dagegen vorgehen«, sagte ein linientreuer Polizeisprecher, die kleinste Provokation wohl herbeisehnend. Die Rollen sind also klar verteilt.

 

Ach ja, und darum geht es, ganz offiziell, in Elmau:

 

• Meeresumweltschutz, biologische Vielfalt der Meere und Nachhaltigkeit/Ressourcenschutz im Bereich Umwelt.
• Antibiotika müssen wieder zuverlässig wirken können. Vernachlässigte Tropenkrankheiten und armutsbedingte Krankheiten (wie Ebola) müssen wirksam bekämpft werden.
• In Handels- und Lieferketten sollen weltweit Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz berücksichtigt werden.
• Die Selbstständigkeit von Frauen soll gefördert werden. In Entwicklungsländern soll die berufliche Bildung von Frauen unterstützt werden.

 

Bei den Punkten fällt auf, dass – abgesehen von den fehlenden Themen zu den von der Bundesregierung angeführten Zielen – die durch Armut ausgelösten Krankheiten bekämpft werden müssen. Sicher, was sonst? Die Armut etwa?

 

Am Montag, dem 8. Juni ist dann Schluss mit dem feudalen Spuk auf Schloss Elmau. Danach geht es, Dank günstiger Terminplanung, ab zu den Nachbarn nach Tirol. Dort geht ab 10. Juni in privater Runde und wieder auf unser aller Kosten das Bilderberg-Treffen mit, na klar, allem erdenklichen Luxus bei ungezwungen Gesprächsrunden in entspannter Atmosphäre zu den harten Themen dieser Welt ab. Aber pst, davon darf ja keiner wissen.

 

Viel weiter als auf dem Gipfel von Elmau kann man sich von der Realität, von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie gar nicht mehr entfernen. In einem Forum fragte kürzlich ein Kommentator selbstlos: »Wo sind die Terroristen, wenn man sie mal braucht?« Liegt die Antwort doch ganz nah. Ich schließe mich sicherheitshalber lieber Max Liebermann an, als er beim Betrachten des Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme sagte: »Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.«

 

 

Mein Beitrag erschien bei NEOPresse.

 

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