Der Maidan und die Folgen

Vor einigen Tagen hat Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine, das ukrainische Verfassungsgericht aufgefordert, die Absetzung seines Vorgängers Viktor Janukowitsch als verfassungswidrig zu bestätigen. Eine Überraschung, denn die EU und die USA bestreiten, dass Janukowitsch weggeputscht wurde.

 

In der öffentlich einsehbaren Erklärung schreibt der Präsident, dass die Amtsenthebung seines Vorgängers im Februar 2014 nicht verfassungskonform war. Poroschenko ist der Ansicht, dass das ukrainische Parlament die Verfassung untergraben hätte.

 

Zeit für einen kurzen Rückblick:

Wie Victoria Nuland, zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums für Europa und Eurasien, in einem Interview für den TV-Sender CNN zugab, haben die USA nach dem Zerfall der Sowjetunion fünf Milliarden US-Dollar für »die Unterstützung des Strebens des ukrainischen Volkes nach einer stärkeren, demokratischen Regierung« investiert. Im November 2013 hat Viktor Janukowitsch das von ihm ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt. Die Entscheidung wurde auch mit der Notwendigkeit, normale Handelsbeziehungen mit Russland und weiteren Ländern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten wiederherzustellen, begründet. »Auch ich habe kein Recht, Menschen im Stich zu lassen, da Produktionen unter dem auf uns ausgeübten Druck stillgelegt und Millionen Beschäftigte auf die Straße geworfen werden könnten«, zitierte RIA-Novosti, heute Sputnik Deutschland, Janukowitsch am 25. November 2013. Weiter betonte der damalige Präsident in einem Appell an die Nation: »Niemand wird unseren Traum von einer Ukraine gleicher Möglichkeiten, von einer europäischen Ukraine ruinieren.« Die EU verweigerte der Ukraine mit dem Abkommen die Möglichkeit gleichzeitig Mitglied in der Eurasischen Union zu werden. Der Ukraine wären durch das Assoziierungsabkommen Nachteile im Handel mit Russland sowie soziale Probleme durch die Auflagen von IWF und Weltbank entstanden.

 

In der Folge kommt es auf dem Maidan, unter führender Beteiligung rechtsradikaler Kräfte, zu Demonstrationen pro EU. Im russischen Teil des Landes finden die Proteste keine Zustimmung. Die Demonstrationen in Kiew werden von EU- und US-Politikern, wie John McCain oder Victoria Nuland, von westlichen Organisationen, wie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung oder der International Renaissance Foundation von US-Oligarch George Soros sowie von Fernsehsendern ukrainischer Oligarchen unterstützt.

 

Im Februar 2014 eskaliert die Gewalt auf dem Maidan. Scharfschützen schießen auf Einsatzkräfte und Demonstranten, es sterben Menschen. In einem abgehörten Telefonat sagt Estlands Außenminister Urmas Paet über die Schüsse auf dem Maidan zu Catherin Ashton: »Man kommt also immer stärker zu der Auffassung, dass hinter den Schützen nicht Janukowitsch steht, sondern jemand aus der neuen Koalition.«

 

Eine Aufklärung der Vorfälle wird vom verantwortlichen Staatsanwalt der neuen Regierung, einem Mitglied der rechtsextremen Partei »Swoboda«, behindert. Die ARD-Sendung »Monitor« vom 10. April 2104 mit dem Titel »Todesschüsse in Kiew: Wer ist für das Blutbad vom Maiden verantwortlich« legt den gezielten Einsatz von »Snipern« durch Janukowitsch-Gegner zur Eskalation der Lage nahe und auf BBC wird ein geständiger Maidan-Scharfschütze aus Reihen der Opposition präsentiert.

 

Trotz einer zuvor unterzeichneten Vereinbarung über die Beilegung der Krise, vorgezogene Wahlen und die Bildung einer Übergangsregierung waren vorgesehen, muss Janukowitsch aus Kiew flüchten, um einer Verhaftung durch die Opposition zu entkommen. Die Unterzeichnung wird von Teilen der Demonstranten, besonders der Faschisten, abgelehnt. 72 Abgeordnete verlassen nach der Flucht des Präsidenten die Parlamentsfraktion der Partei der Regionen von Janukowitsch, der bis dahin mit über 100 Abgeordneten größten Fraktion der Werchnownaja Rada. In einer verfassungswidrigen Abstimmung, wie sogar Spiegel-Online (SPON) zugestehen muss, erklärt ihn das Parlament für abgesetzt. SPON schreibt: »Nach der gültigen ukrainischen Verfassung (Artikel 108) kann die Amtsperiode des Präsidenten aber nur aus vier Gründen vorzeitig enden: wegen Rücktritts, aus gesundheitlichen Gründen, im Zuge eines Amtsenthebungsverfahrens oder wenn der Amtsinhaber verstirbt.«

 

Weiter gibt SPON zu, dass sich die Resolution der Rada auf Artikel 112 beruft. »Dieser aber besagt lediglich, dass im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Präsidentschaft nach Gründen der Artikel 108 bis 111 (Tod, Rücktritt, Krankheit, Amtsenthebung) die Amtsbefugnisse bis zur Wahl eines neuen Präsidenten auf den Vorsitzenden des Parlaments übergehen.“ Der in der Resolution genannte Amtsenthebungsgrund, Janukowitsch zieht sich von der Ausübung der Macht selbst zurück, „ist in den hier einschlägigen Artikeln 108 bis 111 der Verfassung nicht enthalten.«

 

Der von Victoria Nuland favorisierte Arsenij Jazenjuk, wie Nuland in einem abgehörten Gespräch unter dem Titel »Fuck the EU« bestätigt, wird als Ministerpräsident der Übergangsregierung »installiert«. Jazenjuk erhält über die von ihm initiierte »Open Ukraine Foundation« von der NATO, der US-Botschaft in Kiew, George Soros oder dem German Marshall Fund bis heute Unterstützung. Die eingesetzte Regierung in Kiew möchte auf Initiative der nationalistischen Partei Swoboda ein Gesetz, welches die russische Sprache in 13 von 27 Regionen im Süden und Osten des Landes als Regionalsprache verankert, verbieten, revidiert diesen Plan aber kurz darauf wieder.

 

Gegen die neue Macht in Kiew flammen im Süden und Osten des Landes Widerstände auf. Pro-russische Kundgebungen, in Analogie zu den pro-europäischen Kundgebungen auf dem Maidan, finden unter Teilnahme russischer Politiker, wie Aleksej Puschkow, Leiter des Auswärtigen Ausschusses der Duma, statt. In Charkow wird eine Resolution verabschiedet in der die russischsprachigen Regionen im Osten und Süden aufgefordert werden, sich der neuen Machthaber in Kiew nicht zu unterwerfen. Aktivisten gehen auf die Straße und besetzen öffentliche Gebäude. In Simferopol, der Hauptstadt der Krim, wird das Parlament blockiert und eine Volksabstimmung über den Status der Halbinsel gefordert. Im März 2014 wird ein umstrittenes Referendum, Soldaten ohne Hoheitszeichen sichern die Wahl, mit einem deutlichen Ergebnis, angeblich 96,77 Prozent, für einen Anschluss an Russland abgehalten.

 

Im Mai 2014 finden vorgezogene und umstrittene Wahlen, die Separatisten im Süden und Osten beteiligen sich nicht, statt. Der Oligarch Petro Poroschenko, seine Wahlkampfkampagne soll über 40 Millionen Euro gekostet haben, wird neuer Staatspräsident. Arsenij Jazenjuk bleibt Ministerpräsident. Drei Ausländer, wie die ehemalige Mitarbeiterin des US-Außenministeriums Natalie Jaresko, werden in Eilverfahren eingebürgert, um Teil der ukrainischen Regierung zu werden.

 

Der mit dem Umsturz in Kiew begonnene Bürgerkrieg in der Ukraine ist ein Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland. Der für beendet geglaubte Kalte Krieg wird wieder warm.

 

Für Ludger Volmer war es auch ein Putsch!

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk stellt der grüne Politiker Ludger Volmer, von 1998 bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt und mitverantwortlich für die Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien, entgegen der Linie seiner Partei, auf die Nachfrage, ob der politische Wechsel in der Ukraine ein Putsch war klar: »Ja, in der Tat.« Volmer sagt:

 

»Die gewählte Regierung war bestimmt schlecht, und es gab viele gute Gründe, sie loswerden zu wollen. Aber wenn eine Revolution von der Straße eine Regierung davonjagt, die vorher demokratisch gewählt worden war, was soll das sonst sein?«

 

Und: »Wenn dann aber ein anderer Teil des ukrainischen Volkes, nämlich die Ostukraine, nicht mitmachen will und wiederum aus dem neuen ukrainischen Staatsverband austreten will, dann gilt das als illegitim, und das ist die Heuchelei und die Doppelmoral der westlichen Politik.«

 

Volmer hält das Vorgehen auf der Krim für einen Völkerrechtsbruch, sieht hinter dieser unrechtsmäßigen Aktion aber ein legitimes Ansehen. Über die Krim sagt er:

 

»dass sie auch historisch immer zu Russland gehörte und die nur durch einen Verwaltungsakt innerhalb der Sowjetunion in den 50er-Jahren der Ukraine zugeschlagen wurde. Und aus russischer Sicht sieht das so aus, dass der Machtwechsel in der Ukraine und die Orientierung der Ukraine weg von Russland und hin zum Westen im Grunde bedeutet, dass die Geschäftsgrundlage des damaligen Verwaltungsaktes weggefallen ist.«

 

Über eine Partnerschaft mit Russland meint Volmer, »dass starke Kräfte im Westen, insbesondere in den USA, diese Partnerschaft nicht wollten. Im Übergang von der Clinton- zur Bush-Regierung haben sich Kräfte durchgesetzt, die gesagt haben: Nachdem die Sowjetunion nun einmal gestürzt ist, werden wir Russland so stark schädigen, dass es sich nie mehr erholen kann. Und diese Kräfte sind leider heute immer noch wirksam in den USA.«

 

Und die Krim? Trennung oder Annexion?

Reinhard Merkel von der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), gewiss kein Russland nahestehendes Blatt, kommt in seinem Artikel »Kühle Ironie der Geschichte« vom 7. April 2014 zu folgendem Ergebnis:

 

»Hat Russland die Krim annektiert? Nein. Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein. Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung (aber das ist keine Frage des Völkerrechts). Hätte aber Russland wegen dieser Verfassungswidrigkeit den Beitritt der Krim nicht ablehnen müssen? Nein; die ukrainische Verfassung bindet Russland nicht. War dessen Handeln also völkerrechtsgemäß? Nein; jedenfalls seine militärische Präsenz auf der Krim außerhalb seiner Pachtgebiete dort war völkerrechtswidrig. Folgt daraus nicht, dass die von dieser Militärpräsenz erst möglich gemachte Abspaltung der Krim null und nichtig war und somit deren nachfolgender Beitritt zu Russland doch nichts anderes als eine maskierte Annexion? Nein.«

 

Im Völkerrecht ist eine Annexion die gewaltsame Aneignung von Land gegen den Willen des Staates, dem es zugehört, durch einen anderen Staat. Merkel:

 

»Was auf der Krim stattgefunden hat, war etwas anderes: eine Sezession, die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte. Ihm folgte der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau annahm. Sezession, Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten.«

 

Weiter heißt es: »Man mag ja die ganze Transaktion aus Rechtsgründen für nichtig halten. Das macht sie dennoch nicht zur Annexion.«

 

Die russische Militärpräsenz auf der Krim bezog sich nicht auf die Erklärung der Unabhängigkeit oder das Referendum, sie sicherte die Möglichkeit des Stattfindens der Ereignisse und hatte auf deren Ausgang keinen Einfluss. Die Gewaltandrohung hat sich nicht gegen das Parlament der Krim oder die Bürger gerichtet, sondern gegen die Soldaten der ukrainischen Armee. »Was so verhindert wurde, war ein militärisches Eingreifen des Zentralstaats zur Unterbindung der Sezession. Das ist der Grund, warum die russischen Streitkräfte die ukrainischen Kasernen blockiert und nicht etwa die Abstimmungslokale überwacht haben«, schreibt Merkel. Der echte Wille eines großen Teils der Krim-Bevölkerung zum Anschluss an Russland steht auch im Westen außer Frage.

 

Parallelen zum Kosovo

Die Vorgänge auf der Krim werden in Diskussionen, besonders von russischer Seite, häufig mit dem Kosovo begründet. In einem Interview mit den NachDenkSeiten vom 11. Juni 2015 – Titel: »Nie wieder Krieg (ohne uns)! Zur Rolle von Grünen, Sozialdemokraten und Medien im Kosovo-Krieg« – sagt der Historiker Kurt Gritsch, dass das politische Problem im Jugoslawien-Krieg auf die Person Slobodan Miloševic zugespitzt wurde. Dieser hat nicht viel für Albaner getan, trotzdem immer wieder mit ihrem Führer Ibrahim Rugova verhandelt und hätte die Umsetzung eines diplomatischen Abkommens durch Serbien garantieren können. Das Problem war damals, so Gritsch, »dass die Maximalforderungen beider Konfliktparteien unvereinbar waren«. Rugova und die meisten Albaner wollten die Sezession durch eine Internationalisierung der Kosovo-Frage. Für Miloševic und die meisten Serben war der Kosovo ein innerserbisches Problem. Gritsch betont, dass Miloševic zwar ein zynischer und gewaltbereiter Machtpolitiker, aber gewiss kein »neuer Hitler« war.

 

Der Historiker: »Im Fall Kosovo wurden der Öffentlichkeit ja mit Kriegsbeginn im März 1999 die dreistesten Lügen erzählt. Weder gab es eine „serbische SS“, wie Joschka Fischer behauptete, noch das von Verteidigungsminister Rudolf Scharping behauptete „KZ im Fußballstadion von Pristina“, noch hat sich der ebenfalls von Scharping kolportierte „Hufeisenplan“ als Wahrheit herausgestellt.«

 

Über die Hintergründe des Kosovo-Krieges zeigte die ARD am 8. Februar 2001 die WDR-Dokumentation: »Es begann mit einer Lüge – Deutschlands Weg in den Kosovo Krieg«

 

Soviel zur Vorgeschichte. Zu einem Vergleich mit den Ereignissen auf der Krim meint Merkel, dass sich die empörten westlichen Staaten an die eigenen Nasen fassen müssen.

 

»Am 17. Februar 2008, erklärte die provisorische Zivilverwaltung im Kosovo dessen Unabhängigkeit vom serbischen Zentralstaat. Das verstieß, wiewohl der Internationale Gerichtshof das zwei Jahre später verneint hat, gegen einschlägiges spezielles Völkerrecht, nämlich die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats vom Juni 1999, die den Kosovo nach der Nato-Intervention unter die Hoheitsgewalt der Vereinten Nationen gestellt und zugleich die Unverletzlichkeit der serbischen Grenzen garantiert hat.«

 

Nur einen Tag nach der Sezession haben die USA, England und Frankreich, drei Tage später auch Deutschland, den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt. Die Anerkennung war überhastet und ein völkerrechtswidriger Eingriff in den serbischen Anspruch auf Achtung seiner territorialen Integrität. Damals hat Russland den Westen scharf kritisiert.

 

 

Mein Beitrag erschien in NEOPresse.

 

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