Empörung im Oberhaus

Fußballfans rebellieren vereint gegen Klubchef Dietmar Hopp und den DFB, womit sie jede Menge Staub aufwirbeln.

 

Schmähgedichte, -plakate und -gesänge sind im Fußball üblich und nicht neu. Gegen Dietmar Hopp von der TSG Hoffenheim gerichtet, haben sie allerdings für Fußballgeschichte und mehrfach fast zu Spielabbrüchen in der Bundesliga geführt. Das geht so nicht — ist sich die gut geschmierte Propagandamaschinerie einig und zeigt auf, wie echte Doppelmoral funktioniert. Ein Sportkommentar zu Fußball, Land und Leuten.

 

So sieht sie also aus, die schöne neue Fußballwelt: Ein bisschen Kinderhandel mit Aufzucht-Trainingsprogrammen für angehende Jungmillionäre — echte Super-Super-Super-Stars mit Neymar-Diamantohrringen und Ribéry-Gold-Steaks. Vorbereitet auf die Wüsten-WM der FIFA-Mafia-Nadelstreifenfunktionäre und Bestechungsgeldverteiler in schattigen Champagnerlogen. Erbaut von Sklaven, verkauft von Hofberichterstattern und mit Halbzeit-Gesangseinlagen, die kein Fan braucht. Vor den Stadien, in den Stadtzentren dann überall Public Viewing auf ewig langen Konsumentenmeilen. Dauerklatscher in bunten Plastiktrikots lauschen teuren GEZ-Expertenschwaflern. Danach wieder Salami-Liga-Alltag, also Fußball möglichst rund um die Uhr von freitags bis montags. Es spielen die Kapitalsportballgesellschaften der Oligarchen und Konzerne mit globalem Farmteamanschluss. Die Krönung: eigene El Plasticos und stadtinterne Champions-League-Finale. Es scheint doch alles in bester Ordnung im modernen Fußballsport. Oder etwa nicht?

 

Kritik und Widerstand werden jetzt verboten

Fast. Wären da nicht die Ultras mit ihren üblichen Verbalorgien gegen den DFB und Dietmar Hopp, den milliardenschweren Mitbegründer von SAP und Klubchef der TSG Hoffenheim — Akteure des Fußball-business im 21. Jahrhundert, Nachfolger des Fußball-sports aus dem letzten Jahrtausend. Sollten die Chaoten, frei nach Uli Hoeneß, nicht besser froh sein, bei diesem Spektakel für so wenig Kohle noch dabei sein und in den Kurven für Stimmung in der großen Megashow sorgen zu dürfen?

 

Fußballkultur besteht heute eben aus systemkonformen WM-/EM-/CL-Partymeilen, Dauergrinsen, Sitzkissen, Sponsorendecken, Sky-Abos, Friede-Freude-FIFA-Choreos, Grünschnabel-Millionengehältern, Omnipräsenz mit Social-Media- und Werbeverträgen, Vertragsauflösungen und -abfindungen, Klub- und WM-Einkäufen und Klassen-, Wachstums-, Superwahn. Es ist jetzt alles so schön marktkonform, genau wie unsere Demokratie. Und am 24. Bundesligaspieltag kam es dann fast zum Abbruch der (TV-)Super-Giga-Show.

 

Mit »Hurensohn«-Bannern und Rufen, wie sie im Fußball schon lange üblich sind — auf jeder Münchner Wiesn werden traditionell »BVB-Hurensöööhne« besungen — standen die Fans und Ultras, ob vom FC Bayern, bei Union Berlin, dem 1. FC Köln, in Gladbach und auch in den Unterhäusern vereint an der Seite der BVB-Fans, gegen die sich der DFB und sein Sponsor Hopp verbündet haben. Und die Funktionäre, auf Zuruf auch die Spieler und Sportjournalisten, empörten sich dann gleich emotionsgeladen über die Fußballchaoten. Obwohl sich das vor rund elf Jahren noch anders angehört hat. Damals holperte es durch die ganze Liga, dass Hopp den Dorfklub Hoffenheim mit seinem Privatvermögen aus dem Nichts heraufgezogen hat, so die BVB-Zentrale. Die TSG sei, was sie ist, nämlich ein »Retortenverein«. Oder es sei »schade, dass diese Mannschaft einen der 36 Plätze im Profifußball wegnimmt«, meinte man bei Mainz 05.

 

Mittlerweile hält Hopp — entgegen der 50+1-Regel — 96 Prozent der Vereinsanteile, der Verein selbst nur 4 Prozent. Längst wird Hopp-Kritik schlicht weggebügelt, denn man würde ja vergessen, dass der Mäzen auf Nachhaltigkeit in »seinem« Verein und »seiner« Region setze, »seine« Stiftung junge Sportler, soziale Projekte und die Bildung fördere. Nur ist das ja theoretisch Aufgabe von Politik, Gemeinden und Gesellschaft — eigentlich nach demokratisch ermittelten Prioritäten.

 

Wollen wir neuen Feudalismus oder ist, nach Pestalozzi, Wohltätigkeit doch das Ersaufen des Rechts im Mistloch irgendeiner Gnade?

 

Unter dem Vorwand, in die Region zu investieren, nimmt man den Platz gewachsener Vereine ein. Das nur, weil Geld sich aus dem Nichts vermehren und seit ein paar Jahren auch noch Tore schießen kann. Da spielt es keine Rolle, dass man, um Jugend- oder Sportzentren zu errichten, keineswegs einen Fußballverein auslöschen oder übernehmen muss. Ein Sportzentrum ließe sich auch einfach so errichten oder fördern. Doch das hat Hopp, der nicht nur TSG-Sponsor sein wollte und den Dorfklub aus Liebhaberei mit seinem Vermögen in die Bundesliga jagte, aber nicht gemacht. Deshalb steht er aus Sicht der Fans ganz klar für die Kommerzialisierung des Fußballsports, und dies wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Und mit der Filiale des Red-Bull-Imperiums in Leipzig wurde es noch übler. Geld regiert jetzt auch die Fußballwelt und was gibt es Schlimmeres als Liga 3, 4 oder 5? Dorf-Hoffenheim und Vorstadt-Dosen will da unten keiner sehen.

 

Ein Rückblick

Im Jahr 2008 reiste Borussia Dortmund zum damaligen Aufsteiger, dem Hopp-Klub Hoffenheim. Ein BVB-Fan hielt ein Plakat mit der Aufschrift »Hasta la vista, Hopp« hoch. Hopp zeigte den Fan an und verscherzte es sich somit ganz bei den Borussen und in der Szene. Seitdem tauchten immer wieder »Hurensohn«-Banner, Schmährufe und Fadenkreuzsymbole gegen ihn auf.

 

Dann haben die BVB-Ultras auf ein DFB-Urteil reagiert. Man hatte sie mit einem Blockverbot bei der TSG Hoffenheim belegt. Die BVB-Fans daraufhin kürzlich via Banner:

 

»Keine Kollektivstrafen mehr? Wie oft wollt ihr euer Wort noch brechen? Scheiß DFB.« 

 

Und: »Wer die Toten von Hanau missbraucht, um die Fankurven mundtot zu machen, der beweist mehr Anstandslosigkeit als jedes Fadenkreuz.«

 

Vor zwei Jahren hatte der DFB versprochen, in Zukunft keine Kollektivstrafen mehr auszusprechen. Wenn sich einzelne Fans daneben benähmen, hätte nicht mehr die ganze Kurve dafür zu büßen. Damit sollte das Verhältnis des Verbandes zur aktiven Fanszene verbessert und ein Dialog eingeleitet werden. Was sich aber spätestens jetzt erledigt haben dürfte.

 

»Denn der DFB ist vor Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp eingeknickt, er stellt den persönlichen Kampf des Multi-Milliardärs über sein eigenes Gelöbnis, nicht mehr eine komplette Anhängerschaft in Sippenhaft zu nehmen.«

 

Es sei natürlich das gute Recht von Hopp, dem »Mitbegründer des IT-Unternehmens und DFB-Premium-Partners SAP, g

 

Aber ein bisschen Grund zur Freude hätten die Borussen trotzdem. Denn wie die Geschäftsführung verkündete, dürfen sich die Schwarz-Gelben jetzt über einen zweiten Sponsor auf ihren Trikots freuen. Und mit ein bisschen Glück finden sie, wer weiß, noch weitere Investoren, die sich vorne und hinten auf die BVB-Stutzen, -Hosen oder -Ärmel setzen lassen.egen die schweren Beleidigungen vorzugehen. Hätte er auf juristische Mittel verzichtet, hätte sich der Konflikt« wohl nicht so hochgeschaukelt. Dass der DFB in diesem Fall eine »Lex Hopp« schaffen würde, »zeigt, dass ihm die Fans egal sind, wenn es hart auf hart kommt«, wie etwa hier geschrieben steht.

 

Und nun die Doppelmoral von der Geschichte

Nun tritt der Sport also in den Hintergrund. Ein Punkt ist erreicht, der so nicht mehr zu tolerieren ist. Ein Umdenken muss stattfinden, Zeit sich zu wehren, heißt es von satten Funktionären, Trainern, Spielern und in den Medien. Das ist nicht der Fußball, den wir wollen, meint auch noch Bayern-Müller. Danke! Wirklich? Doch stimmt das? Und wer will welchen Fußball nicht? Wer hat die Fans gefragt, ob sie einen bis auf die Unterhose durchkommerzialisierten Event-Ball wollen. Den Aus- und Abverkauf der Ligen, Klubs, der runden Ballkultur mit Feuerwerken in kleinen wilden Hexenkesseln? Die Fans kommen nicht zu Wort. Doch mit Schmähgesängen, Schmähplakaten und Beleidigungen in den Stadien mischen sie sich ein. Ein Konterfei im Fadenkreuz, Spruchbänder mit »Hurensohn« — das geht nicht gegen einen Hopp und das System. Toleriert wird, wenn überhaupt, dann nur der »Ziegenficker« eines Böhmermanns im ZDF.

 

Banner gegen Hopp führen jetzt also, selbst wenn sie frei von Beleidigungen sind, wie beim Drittligaspiel in Meppen nach DFB-Drei-Stufen-Plan — der eigentlich gegen Rassismus gedacht ist — zu Unterbrechungen von Spielen.

 

Gleichwertige Schmähplakate gegen Bayern-Torwart Neuer beim DFB-Pokal auf Schalke wenige Tage später werden jedoch hingenommen. Das war nur »situationsbedingt«, so der Mediendirektor auf Schalke dazu. Da störte Neuer auch nicht, was ihn gegen Hopp noch kurz zuvor empört hatte: »Hurensohn«-Rufe, nur diesmal gegen sich selbst. Die Schalker Fans sonst noch in Richtung DFB:

 

»Eure Zusage gegen Kollektivstrafe vergessen — Versucht ihr nun uns Fans mit Spielabbrüchen zu erpressen?«

 

Zur eigenen Klubführung: »Die Werte unseres Vereins habt ihr mit Tönnies verraten! Spart euch eure Stellungnahmen«, »Die Medien schreien und Schalke spricht, nachgedacht wird wieder nicht!« Und die Münchner Fans der »Schickeria« schrieben jüngst zu dem Skandal:

 

»Beleidigungen sind im Fußball gang und gäbe und Fankurven sind keine Gerichtssäle, in denen jedes Wort wohlüberlegt verwendet wird.«

 

Und ist man wenigstens konsequent beim DFB und in der DFL, wenn es um stramme Menschenfeindlichkeit geht? Natürlich nicht. Während man wegen Beleidigungen beim Bayern-Gastspiel in Hoffenheim eigens eine Ermittlungsgruppe bei der Polizei gebildet hat, sprengt man nun den Rahmen der Meinungsfreiheit, sagen Fanbeauftragte. Während der DFB also keine Probleme mit rassistischen Äußerungen gegen Spieler wie Torunarigha von Hertha BSC beim Pokal auf Schalke hat, da es zu keiner Unterbrechung kam, kombinieren die Bayern-Fans:

 

»Will man zukünftig immer, wenn solche Beleidigungen auf der Zuschauertribüne geäußert werden, Fußballspiele ab- oder unterbrechen, wird man keine Partie mehr über 90 Minuten spielen können.«

 

Die Welle hat sich dann auch noch über die Grenzen ausgebreitet, nach Österreich zum Beispiel. Die Red-Bull-geplagte Fußballszene dort — etwa die Fans von Rapid Wien und Wacker Innsbruck — hatte sich mit den deutschen Fans solidarisiert. Dann haben sich auch noch die LASK-Fans im ÖFB-Halbfinale bei — genau: Austria-Salzburg-Killer Red Bull Salzburg via Banner nicht nur gegen Hopp, sondern auch gegen Kollektivstrafen, für die Stimmenmehrheit für den Verein nach 50+1-Regel und gegen Doppelmoral bei Beleidigungen zu Wort gemeldet. »Ein Milliardär wird beleidigt, das Volk ist empört. Bei Katar, Rassismus und Co. hat’s keinen gestört. Ihr Heuchler!«, so die LASK-Fans vor wenigen Tagen treffsicher.

 

Und Freiburg-Trainer Christian Streich fand, nachdem er die Schmähgesänge beim Spiel in Dortmund vernommen hatte: »Was in diesem Land in den letzten zehn Monaten passiert ist, in puncto Hetze, in puncto Anschläge auf Politiker, auf jüdische Einrichtungen und jetzt auf eine türkische Shisha-Bar, ist extrem gefährlich«, denn »diese Hetze gegen Menschen ist nicht hinnehmbar.« Natürlich nicht, Herr Streich, doch dies sollte grundsätzlich und für alle Menschen gelten. Oder liegt es nur am falschen »Zielsubjekt«? Vermutlich, denn:

 

Beleidigungen, Diffamierungen, Schmähungen und Fadenkreuze sind gegen Systemkritiker und 9/11-Skeptiker, Putinversteher, Corbyns, Retrolinke, Anarchisten, Hartz-Empfänger, Schmarotzer-Griechen, Friedensfreunde, Whistleblower und Assanges — samt Mordaufruf — doch schließlich hinzunehmen. Gegen Palästinenser, Antifaschozionisten, auch wenn sie jüdisch sind, und die gesamte BDS-Bewegung ebenso. Gegen Kontermedien, die Gansers und Jebsens, gegen diese unbequem-kritischen Leute eben, deren Kinder man auch gleich mal mit bedrohen kann. Diejenigen links und rechts der radikalen Mitte sind zum Abschuss freigegeben.

 

Wer das nicht glaubt, der marschiere am besten gleich ins Axel-Springer-Haus, rauf in die Abteilung Schmäh-, Hetz- und Diffamierungs-BILD. Dort wird es schwarz auf weiß bewiesen.

 

Oligarchen gibt es bloß im Osten, hier heißt das stur »Mäzen«

Und so müssen BVB-Fans, von außen zur Vernunft gebracht, ein paar Jahre Hoffenheim-Stadionverbot absitzen. Damit bekämen die Fans also die Quittung für ihre jahrelangen »Provokationen«, Beleidigungen und Schmähgesänge gegen Hopp. Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sprach empört von »einem schwarzen Tag für den Fußball«. Das »muss aufhören. Ich werde mich mit dem heutigen Tag nicht mehr wegducken. Auch auf die Gefahr hin, dass ich irgendwann mit Leibwächtern durch die Gegend laufen muss.«

 

Jener Hopp-Freund Rummenigge also mit einem langen Arm für Oligarchen — um etwa Hopp nach Schmähungen zu trösten — und für funkelnde Geschenke ölverschmierter Sandclan-Bosse. Wegducken, das klappt wohl nur bei Neuzeitsklaven auf WM-Baustellen der Premiumpartner in reinen kleinen Wüstendiktaturen. Hat sein Klubkollege Kaiser Franz nicht auch versichert, in Katar nicht einen einzigen Sklaven gesehen zu haben? Und wenn die Steineklopfer die Fertigstellung dieser edlen FIFA-Fußball-Logen überleben, dann sind sie zur WM wieder weg. Man trifft sich nicht, es lädt diese armen Teufel eben keiner dieser Fußball-Wohloderübeltäter zu sich nach oben in die Logen ein — kein Hopp, kein Mateschitz und auch kein Scheich, eben kein Schwein. Diese Zustände sind für Rummenigge und Kollegen auch keine tränenreichen Statements der Empörung wert. Gestorben wird dann doch woanders.

 

Die Fans setzen aber nun zum Konter an: »Wir Fans werden die Praxis vom letzten Spieltag nicht einfach so hinnehmen und im Zweifel weiter Unterbrechungen und auch Abbrüche in Kauf nehmen«, so der Zusammenschluss »Fanszenen in Deutschland« in einer Stellungnahme mit dem Titel »Kollektivstrafen zum ‚Schutze‘ eines Milliardärs«.

 

Der DFB sei nur so lange an Veränderungen und Dialog interessiert, solange sein Geschäft nicht ernsthaft gestört werde. Die Ultras und Fans trauen den Funktionären nicht mehr. Das können sie auch nicht, wie ja bewiesen wurde. Es würde darum gehen, die Fankultur und -szene zu bekämpfen, zu spalten, letztlich zu entfernen. Man brauche schließlich unkritisches »Klatschpublikum«.

 

Und während die Fanproteste quer durch die Ligen weitergehen — in Duisburg, Nürnberg, bei der Hertha, in Jena, Kaiserslautern, Darmstadt, Freiburg, München oder Mainz — und die Doppelmoral und Heuchelei der Funktionäre verurteilt wird, zeigen sich die Fans von Schalke mit einem neuen Banner — kreativ und konfrontativ:

 

»Wir entschuldigen uns bei allen Huren, sie mit Herrn Hopp in Verbindung gebracht zu haben!«

 

So bleiben Retortenklubs, Verbände, Mäzene und Funktionäre also noch länger Feindbilder und tragen zielsicher zur Spaltung der Gesellschaft in Hummerlogen drinnen und überwachte Massen draußen bei. Na dann hopp, vielleicht doch besser aufbegehren …

 

 

Mein Beitrag erschien bei Manova.

 

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