FAZ trägt Aluhut: Ist das noch Journalismus oder schon Stellungskrieg?

Letzte Woche schoss der Politikredakteur Oliver Kühn von der FAZ in einem Beitrag mit abenteuerlichen Anschuldigungen gegen Russland nur so um sich. Belege bringt er keine, stattdessen bleibt er in Deckung.

 

In seinem Artikel »Russland startet Cyberangriffe gegen Großbritannien« vom 15. November 2017 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), ist sich FAZ-Feldwebel Kühn für keine Theorie über Verschwörungen »der Russen« gegen den politischen Westen zu schade. Dabei kommt es ihm aber nicht über die Lippen, die von ihm vorgebrachten Anschuldigungen auch als »Verschwörungstheorien« zu bezeichnen. Dieser Begriff ist für Kreise reserviert, die ein ähnliches Vorgehen aus guten, weil vielfach belegten Gründen bei der Gegenseite vermuten. Kühn könnte in diesem Zusammenhang ja mal einen Blick auf die vor kurzem freigegebenen Dokumente zum Mord an John F. Kennedy riskieren. Aber sei ’s drum.

 

Rekordverdächtige Breite angeblicher russischer Sabotageangriffe

Bereits im Vorspann seines Textes erfährt man, dass die Russen in die britische Stromversorgung eindringen wollten und ihre Finger beim Brexit-Referendum im Spiel hatten. Dafür benötigt Herr Kühn zwei Sätze. Und wenn man jetzt immer noch nicht darauf gespannt sein sollte, was »die Russen« noch so alles verbrochen haben und wie sich »der Russe« da rausreden will, ist man vermutlich selbst Aluhutträger oder Mobilisierungsverweigerer.

 

Kühn enttäuscht nicht. Schafft er es bereits im ersten Absatz, fünf Anschuldigungen in fünf Sätze zu packen, etwa dass »die amerikanische Präsidentenwahl aus Russland beeinflusst wurde«, es eine »russische Kampagne vor den Wahlen in Frankreich« gab, eine russische Kampagne vor den Wahlen in den Niederlanden stattfand und zu den russischen Angriffen auf die Stromversorgung auch noch die britischen Medien attackiert wurden. Ein rekordverdächtiger (Werbe-)Text für sofortige Gegenmaßnahmen. Es fehlte nur noch die Darlegung, dass Russland hinter dem überraschenden Ausscheiden der US-Fußballnationalmannschaft aus der WM-Qualifikation steckt.

 

Um möglichst neutrale Quellen ist Kühn gar nicht erst bemüht. Schließlich würden der amerikanische Nachrichtendienst (US-Wahl) und das britische »National Cyber Security Center« (britische Medien und Stromversorgung) das alles bestätigen. Und den Rest möchte Kühn dann einfach mal erwähnt haben. Das heißt: Im Falle des Einbruchs in die britische Stromversorgung handelt es sich wohl doch eher um eine Vermutung, es wurde schließlich kein Alarm ausgelöst. Präzisere Details könnten, da es sich um »Geheimdienstangelegenheiten« handelt, ja auch nicht genannt werden.

 

Aber, dass »Russland versucht, das internationale System zu untergraben«, sei »klar«. Und wer oder was das »internationale System« ist, bedarf bei Kühn keiner weiteren Erklärung. Aber was sagen eigentlich russische Dienste und Regierungsvertreter dazu?

 

Die Macht von Twitter

Eine russische Stimme kommt leider noch nicht zu Wort. Zunächst erfährt man stattdessen, dass Wahlen mittlerweile über den US-Kurznachrichtendienst Twitter entschieden werden. Besonders auf Twitter habe es »eine Flut von EU-kritischen und Pro-Brexit-Beiträgen« gegeben, berichten die englischen Zeitungen Times und Guardian.

 

Dabei beruft sich die Times auf eine Untersuchung der Universitäten Swansea (Wales) und Berkeley (Kalifornien). Dass die Universität Swansea Hillary Rodham Clinton am 14. Oktober 2017 einen Ehrendoktor verliehen hat und die Universität von einer »bedeutenden Beziehung« mit der leicht russophoben Clinton spricht, sei dabei nur am Rande erwähnt.

 

Kühn legt stattdessen ein Zahlenspiel über Tweets vor, die sich auffallend intensiv mit dem Referendum beschäftigten. Allerdings sind einige dieser Konten wohl in Großbritannien beheimatet. Trotzdem seien die Anzeichen mannigfaltig, »dass es sich um russische Accounts handelt«. Und Twitter selbst habe schließlich im vergangenen Monat 2.752 Accounts in den USA abgeschaltet, »die das Unternehmen als russische Fake-Accounts bezeichnete. In den meisten Fällen handelte es sich um Nutzerkonten, die vorgeblich Amerikanern gehörten, aber wohl aus Russland gesteuert« worden wären.

 

Von »seien« und »sollen«

Und so bleibt es bei einem Sammelsurium aus »seien« und »sollen«, von Vermutungen und Unterstellungen über Tweets, die angeblich ein ganzes Wahlvolk beeinflussen können. Dabei spielt es anscheinend gar keine Rolle, ob und wie viele Wähler den Dienst des US-Konzerns Twitter überhaupt nutzen.

 

Könnte Kühn doch wenigstens etwas Konkretes vorlegen!? Etwas wie die Stellenausschreibung der US-Botschaft in Berlin vom August 2015, als diese öffentlich Personal für die »Entwicklung von Kampagnen in den Sozialen Medien zu verschiedenen Themenbereichen sowie die Beobachtung externer Blogs und Plattformen sozialer Medien« suchte?

 

Man darf aber auch nicht vergessen, dass einer der FAZ-Herausgeber, Berthold Kohler, aus seinem Kriegsgeschrei in Richtung Russland, »Putin aber hat den Westen jäh aus seinem Traum vom ewigen Frieden (wenigstens in Europa) gerissen«, kein Geheimnis macht und jene Frontlinie im Blatt womöglich gefordert wird. Auf welchem Planeten war Kohler eigentlich, als auf dem Maidan geschossen und geputscht wurde?

 

Und während man auf eine russische Stellungnahme wartet, FAZ-Redakteur Kühn verweist in Sachen russischer Trolle noch kurz auf die FAZ, taucht Wladimir Putin auf, der deutlich macht: »Wir haben die Abstimmung mit Interesse verfolgt, haben uns aber nicht eingemischt oder versucht, sie zu beeinflussen.«

 

Allerdings kann das, was Putin da sagt, nicht stimmen. Erstens ist Putin kein Vertreter eines britischen oder amerikanischen Geheimdienstes und außerdem ist »im Falle des Brexit-Referendums« festzustellen, »dass das von den meisten untersuchten Nutzern gewünschte Ergebnis auf Linie der russischen Politik liegt«, die ja bekanntlich versucht, einen Keil zwischen die Staaten der EU zu treiben, wie Kühn klarstellt.

 

Die Möglichkeit, dass sich US-Strategen womöglich bemühen könnten, einen Keil zwischen die EU und Russland zu treiben, wird besser nicht erwähnt. Dafür sei aber noch kurz darauf hingewiesen, dass Russland auch in Katalonien kräftig twittert. Übrigens, und das ist neu, zusammen mit Venezuela. Das wiederum hätte schließlich die spanische Regierung behauptet.

 

Auf Nachfrage: Stille

Da lag es nahe, bei Kühn mit Anfrage vom 16. November 2017 Quellen und Belege zu fordern, die seine Verschwörungstheorien untermauern würden. Ob er also darlegen könnte, dass er nicht bloß ein Sprachrohr ausgesuchter Geheimdienste und Regierungen ist. Doch der FAZ-Feldwebel wollte dazu genauso wenig antworten wie auf die Frage, weshalb er die russische Seite, im Sinne einer möglichst ausgewogenen Berichterstattung, nicht entsprechend zu Wort kommen lässt. Ja, ich muss gestehen, seinen Text mit einer ausgewogenen Berichterstattung in Verbindung zu bringen fiel tatsächlich nicht ganz leicht.

 

 

Mein Beitrag erschien bei RT Deutsch.

 

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