Freie Meinungsäußerung ist eigentlich eine gute Sache, solange sie einem nicht in die Quere kommt. Beispiele vorauseilenden Gehorsams aus der bayerischen Landeshauptstadt.
Skandal!
Mit Schreiben vom 21. September 2016 untersagt Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers, SPD, dem Eine-Welt-Haus die Durchführung einer für den 23. September geplanten Veranstaltung des Vereins Salam Shalom mit dem Titel »Antisemitismus heute«. Auf der Veranstaltung soll es darum gehen, dass Kritik an Israels Politik als »Antisemitismus« denunziert wird.
Beistand bekam Küppers vom Zweiten Bürgermeister Josef Schmid, CSU, – »Ein Agitieren gegen das Existenzrecht Israels … muss im Ansatz unterbunden werden.« – oder dem Stadtrat Dominik Krause von den Grünen. Wörtlich heißt es in Küppers Schreiben an das Eine-Welt-Haus: »Die Veranstaltungsankündigung enthält Formulierungen, die in Richtung einer Delegitimierung Israels gehen. Dies legt nahe, dass in der Veranstaltung die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus überschritten wird.« Und weiter: »In städtischen Räumen sind solche Agitationen nicht zulässig. Das Kulturreferat untersagt daher die Überlassung der städtischen Räume an den Verein Salam Shalom zur Durchführung der Veranstaltung.«
Für Krause wäre Salam Shalom besser in der NPD-Zentrale aufgehoben. Er wirft dem Verein vor, dass auf dem Flyer der Veranstaltung von »ethnischen Säuberungen« Palästinas durch Israel die Rede sei, und unterstellt dem Verein »Kontakte zu Rechtsextremisten und Islamisten«. Der Münchner-Merkur hebt die Aussagen des Vorsitzenden des Vereins, Eckhard Lennert, es würde sich bei Israel um einen »Kolonialstaat« handeln sowie den Begriff der »Israel-Lobby« hervor. Dabei sei die Verurteilung der israelischen Siedlungspolitik, verbunden mit der Forderung nach einem Stopp jüdischer Siedlungsaktivitäten im Westjordanland und Ostjerusalem durch den UN-Sicherheitsrat vom 23. Dezember erwähnt.
Jürgen Jung, Zweiter Vorsitzender von Salam Shalom fragt sich, wie die Verantwortlichen der Stadt auf derartige Unterstellungen kommen, »denn an keiner Stelle des Ankündigungstextes wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Dies haben wir nie getan und werden es auch nie tun«. Der Verein werde »rechtliche Schritte gegen die üblen, rufmörderischen Beleidigungen durch Herrn Krause unternehmen«, so Jung, denn die »Israel-Fans« würden mit ihrer »Antisemitismus-Hysterie« denselben bloß banalisieren und befördern.
Der Flyer
Der Referent der Veranstaltung, Abraham »Abi« Melzer, er wird auf der Vorderseite des Flyers als Antizionist und Mitglied der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost« vorgestellt, würde den hierzulande hysterisierten Antisemitismusvorwurf in seinem Vortrag problematisieren, so die Ankündigung.
Auf der Rückseite, und auf die müsste es ankommen, folgen Zitate jüdischer bzw. israelischer Denker, wie Alfred Grosser, Uri Avnery oder etwa ein Zitat von Hannah Arendt – »So wie wir hier die Palästinenser behandeln, müssen wir uns ja in der ganzen Welt verhasst machen.« Weiter heißt es, dass Kritik am völkerrechtswidrigen Verhalten eines Staates, der sich anmaßt, für das Judentum zu sprechen, keine Kritik an »den Juden« sei und von bedeutenden jüdischen Denkern kommt, deren Äußerungen die dunkle, meist verschwiegene Kehrseite des zionistischen Projekts, das mit Hilfe ethnischer Säuberung »das gelobte Land« von möglichst vielen seiner palästinensischen Bewohner »befreien« will. Wer darauf hinweist, wird meist als Antisemit oder als jüdischer Selbsthasser diffamiert. Zionismus sei Nationalismus. Es waren aber die Araber, die von Christen vertriebene Juden, etwa aus Spanien, aufnahmen. Diese Araber, muslimische Flüchtlinge, gerieten unter Generalverdacht. Seit über 100 Jahren erlebten sie, »insbesondere die Palästinenser, die leidvollen Auswirkungen des […] Siedlerkolonialismus, dessen Endziel im Grunde immer noch »ganz Palästina als jüdischer Staat« ist.« Dass sich Palästinenser dagegen wehren, könne nicht wundern und sei Grund für palästinensischen Terror, dessen Ursachen nicht interessieren oder mit antimuslimischem Rassismus abgetan würde. Melzer sei nicht nur in Israel aufgewachsen, er hat dort auch seinen Militärdienst geleistet, was zu seinen Einsichten beigetragen hätte. Soviel zur Veranstaltungsankündigung auf die sich Küpper und Kollegen berufen.
Salam Shalom, man wusste nicht, von wem Küppers zu diesem Eingriff in die Autonomie des Eine-Welt-Haus veranlasst wurde, musste Ersatz finden. Einen Tag später sprang das russische Kulturzentrum GOROD ein, was der Verein über seine Homepage mitteilte. Daraufhin drängte die jüdische Gemeinde das Sozialreferat die Zurücknahme der Raumzusage von GOROD zu verlangen, »weil der geplante Vortrag aus Sicht der Stadt nicht dem Neutralitätsgrundsatz gerecht wird«. GOROD folgte. Im Hansa-Haus des KKV, Katholischer Kaufmännischer Verein, wurde nochmals Ersatz gefunden. Einen Tag später, am Morgen der Veranstaltung, erhielt auch der KKV Post von der israelischen Gemeinde. Die von der Stadt geäußerten Vermutungen wurden nun als Tatsachen – »antijüdische Propaganda« – vorgetragen. Der »für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigte« Abi Melzer wäre eine Gefahr für die christlich-jüdische Dialogkultur. Die Raumzusage im Hansa-Haus wurde zurückgenommen. Die Veranstaltung fiel aus.
Die Reaktionen
Attac München war erstaunt, »dass in diesem Fall die Meinungsfreiheit ohne triftigen Grund eingeschränkt worden ist.« Unsere Demokratie würde mit der staatlich garantierten Möglichkeit der freien Meinungsäußerung stehen und fallen, Beleidigungen und Volksverhetzung ausgenommen. Eine präventive »Einschränkung der Meinungsfreiheit staatlicherseits« verbiete sich grundsätzlich und müsste klar und nachvollziehbar begründet sein. Auch DIE LINKE solidarisierte sich mit dem Verein. Das Eine-Welt-Haus schreibt: »Wer sich das Flugblatt zur Veranstaltung durchliest, wird darin zwar eine harsche Kritik am Staat Israel entdecken – darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein – jedoch keine Infragestellung dieses Staates oder antisemitische Passagen«. Weder Salam Shalom, noch das Eine-Welt-Haus hätten Gelegenheit für eine Stellungnahme bekommen. Man findet es »unerträglich« von Stadtrat Dominik Krause in die Nazi-Ecke gerückt zu werden und verweist auf das Grundgesetz. Dort steht: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern (…). Eine Zensur findet nicht statt.«
Der »nicht-zionistische Jude« Melzer wandte sich in einem offenen Brief an die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Münchens, Charlotte Knobloch. Melzer zog wegen Beleidigung, Verleumdung und wegen Behinderung seiner beruflichen Tätigkeit gegen Knobloch vor Gericht. Melzer gewann den ersten Prozess. Das Gericht untersagte es Knobloch wörtlich oder sinngemäß gegenüber Dritten zu behaupten, dass Melzer für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigt sei. Die »privaten Prozesskosten« ließ Knobloch von der Israelischen Kultusgemeinde München bezahlen.
Noch ein Skandal!
Eine Woche später, am 30. September 2016, sollte in der Erlöserkirche an der Münchner Freiheit ein »Benefizkonzert für Gaza« für Medico in Palästina stattfinden. Geplant war eine »musikalische Lesung« mit dem Titel »ALLE MENSCHEN SIND GLEICH« des Pianisten Michael Leslie. Schauspieler Christian Schneller sollte zwischen Musikstücken die Erklärung der Menschenrechte vorlesen. Leslie bat die Geschäftsführerin des Bündnisses zur Beendigung der israelischen Besatzung (BIB), Nirit Sommerfeld, die Eröffnungsrede zu halten. BIB, als dessen Geschäftsführerin die in Israel geborene Sommerfeld eingeladen wurde, organisiert Kampagnen zur Unterstützung der israelischen Friedenskräfte und des gewaltfreien palästinensischen Widerstands. Medico, Sommerfeld wollte den Verein in ihrer Rede vorstellen, leistet Hilfe für Menschen in Not und wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Zu viel des Guten…
für eine Gruppe um Gabriella Meros aus der israelischen Gemeinde München. Man schickte ein Schreiben an die Erlöserkirche, darunter Pfarrer Gerson Raabe, an Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und an Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und setzte, neben Charlotte Knobloch, Josef Schmid und das Münchner Stadtparlament, die halbe Republik in CC. Man ginge davon aus, dass die Raumzusage ein Versehen sei.
Im Original: »Eine anti-jüdische Veranstaltung, als Musikveranstaltung angekündigt, wo der Erlös an Medico bezahlt wird, einer Institution die »an unmoralischen Kampagnen gegen Israel beteiligt ist« […], kann jedenfalls nicht Teil der jüdisch-christlichen Verständigung sein. Sie legitimieren diesen Verein mit ihrem guten Ruf, wodurch der Antisemitismus gestärkt wird. Dann können Sie ab jetzt ihre Räume ebenso den Nazis, der NPD vermieten. Beide Lager – rechts oder links agieren mit den gleichen Hassparolen gegen Juden und Israel. […] Letzte Woche wollte Salam Shalom BDS (Israel Boykott) Aktivisten den bekannten Anti-Israel Hetzer Abraham Melzer einladen. […] Gerade, erst werter Herr Landesbischof Bedford-Strohm, haben Sie sich über die kirchliche Judenfeindschaft, mit Recht –beklagt. Jetzt sind Taten gefragt.« Eine Veranstaltung »unterstützt von BDS Aktivisten, die die Legitimation von Israel dem einzig demokratischen, jüdischen Staat in Frage stellt« sei keine selbstverständliche Kritik, es sei psychischer Terror gegen die Bürger von Israel. Man dürfe Demokratie nicht mit Volksverhetzung verwechseln. Es würde sich beim Vortrag der »BDS Unterstützerin Nitrit Sommerfeld« um »einseitige Propaganda« handeln. Die Geldgeber müssten sicherstellen, »dass keine öffentlichen Mittel für Antisemitismus oder seine moderne Version – den Israelhass – verwendet werden«, heißt es in dem wohl eilig verfassten Schreiben. Gruppen wie Misereor, Brot für die Welt oder medico wären an »diesen unmoralischen Kampagnen« beteiligt.
Die Gruppe meint, Kritik an Israel sei immer Anti-Israel-Hetze, da das »scheinheilige Deckmäntelchen der sog. erlaubten Israelkritik« nur einen »weiteren psychisch, verbalen »Anschlag« auf unsere jüdischen Mitbürger plausibel machen« soll. Die jüdische Herkunft der Referenten diene dabei nur, den Veranstaltungen einen »seriösen und quasi »überparteilichen« Anstrich« zu geben. In den Kirchen sollen keine »Hetz-Veranstaltungen« stattfinden, fordert Meros. Die Wortführerin ist in München nicht unbekannt. »Respekt«, so etwa Ernst Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt, bei einer Stadtratsanhörung im Alten Rathaus im Jahr 2014, »scheint Ihnen zu fehlen, Frau Meros.«
Laut der Süddeutschen Zeitung (SZ) will Pfarrer Raabe erst durch das Schreiben der Gruppe von Sommerfeld erfahren haben. Um das Konzert zu retten, solle sie keine politische Rede halten. Sie hätte aber gar nicht mehr sprechen sollen, sagt Sommerfeld. »Das Konzert könne stattfinden, wenn er an meiner Stelle die Einführungsrede hielte; dazu sei er von höherer Stelle angewiesen«, schreibt Sommerfeld. Leslie kam einer Absage zuvor. Er sei nicht bereit, »Spielball in irgendwelchen Machenschaften zu werden, faule Kompromisse einzugehen« oder sich vorschreiben zu lassen, mit wem er bei seinen Benefizkonzerten zusammenarbeite. Man schlug ihm einen Kompromiss, ohne Sommerfeld, vor, weshalb er die Veranstaltung schließlich absagte. Er würde das Konzert aber »in dieser Konzeption zu anderer Zeit und Ort auf jeden Fall aufführen«, so Leslie.
Der wahre Skandal
Wie im Fall Salam Shalom kam es zu unterdrückten Reaktionen, wie etwa des früheren Stadtdekans und Pfarrers Hans Dieter Strack. Strack schickte der SZ einen nicht veröffentlichten Leserbrief. Es sei ein »Skandal«, dass er, der über 30 Jahre lang Reisegruppen durch Israel geführt und mit der jüdischen Tradition bekannt gemacht hat, »zum »Antisemiten« gestempelt« würde, weil er die Besatzungspolitik Israels kritisiere und nicht zusehen könne, »wie den Palästinensern ihre Lebensgrundlage, das Wasser, die Bewegungsfreiheit, die eigenen Häuser genommen werden.« Nicht »eine Gruppe von Münchnern«, sondern eine »Splittergruppe selbsternannter und blinder Verteidiger Israels«, hätte sich an die Kirche gewendet.
Ersatz für das Konzert wurde mit der Jazzbar Vogler gefunden, die ebenfalls ins Visier der Antisemitismus-Jäger geriet. In sozialen Netzwerken hieß es: »BDS Laden – Schade dass hier Menschen voller Hass einen Platz für ihre Propaganda bekommen.« Es war nicht die erste Benefizveranstaltung, die in der Jazzbar stattfinden sollte. Es wurde für Ärzte ohne Grenzen, für die Polizei, für Münchner Opfer von Nazi-Morden oder für Flüchtlinge und Kinder gesammelt. Trotzdem folgten Attacken von Leuten, »die glauben, Hilfe für die Menschen in Gaza wäre gleichzusetzen mit Antisemitismus«, so Thomas Vogler, Inhaber der Bar, der Gegenwind normalerweise von »rechts« gewohnt ist. Diese neue Form des Gegenwindes war deshalb irritierend, weil er ohne Reflexion und Recherche, willkürlich in eine Ecke gestellt wurde, in die er nicht gehöre. Vogler ließ sich nicht einschüchtern.
Für Sommerfeld ist wichtig, dass eine Diskussion zum Thema »Maulkorb für Israelkritiker« stattfindet. Es sei wichtig, die Menschen in Israel zu unterstützen, die sich einen Wandel wünschen. »Einen Wandel, der jüdischen Israelis ebenso zugute kommen würde wie ihren muslimischen, christlichen, palästinensischen und anderen nicht-jüdischen Mitbürgern«. Dass die Besatzungspolitik dabei in die Kritik gerät, wäre unvermeidbar, denn dahinter stünde der »Wunsch nach Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit für ALLE«, schreibt Sommerfeld und erinnert an Levy, der in der israelischen Tageszeitung Ha’aretz bemerkt: »Wir lieben Israel und hassen seine Politik.«
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