Terrorismus: Hallo Alltag

Terror findet längst fern und immer öfter auch ganz nah, wie zuletzt in Brüssel, statt. Er ist global und reist Menschen samt Bürgerrechten in Stücke. Er ist flexibel, omnipräsent und einer großen Welle gleich. Er verbreitet Schrecken, zieht einem den Boden unter den Füßen weg, verschlingt alles und eignet sich zum Wellenreiten.

 

Wessen Terror, wessen Opfer?

Spricht und schreibt man über Terror, so sollte Konsens darüber herrschen, was Terrorismus ist. Eine gemeingültige wissenschaftliche Definition von Terrorismus gibt es nicht, problematisch ist die Abgrenzung zum politischen Widerstand. Was für den einen legitime Verteidigung oder Freiheitskampf ist, ist für den anderen Terror. Und so wird es mit dem Konsens etwas schwierig. Doch: Staatsterrorismus ist ein Tabu, Gladio wohl aufgelöst und ETA, RAF und IRA in Rente. Dieser drohenden Leere entsprang der religiöse Terror – das Monopol hat der Islamismus – nahtlos. Es klappt mit dem Konsens: Terrorismus ist in der öffentlichen Darstellung (fast nur) islamistischer Terror. Der Rest fällt gemeinhin in die Rubrik Kollateralschaden und Amoklauf. Auch wenn für Noam Chomsky mutwilliges Töten unschuldiger Zivilisten Terrorismus ist und kein Krieg gegen den Terrorismus. Egal wo, wie und ganz besonders durch wen. Diese Ansicht entspricht zwar nicht der herrschenden Meinung, kann im Zweifel aber hilfreich sein.

 

Nach den Anschlägen von Paris versank das Netz in blau-weiß-roter Anteilnahme, der Eifelturm war überall und eine Sondersendung jagte die nächste. Nach Brüssel war es ähnlich, wenn gefühlt auch nicht mehr so intensiv. Ein Gewöhnungsprozess? Nach den Anschlägen von Istanbul, einer grenzwertig europäischen aber muslimischen Metropole, war das mit der Anteilnahme nicht so klar – wenigstens konnten die Täter zeitglich mit dem Zünden der Bombe identifiziert werden. Ganz anders ist es bei Terror in der Ferne, wie zuletzt auf einem Markt in Bagdad oder einem Spielplatz in Lahore. Die Angriffe sind nur eine kurze Meldung wert, entlocken den meisten, wenn überhaupt, ein Achselzucken, schaffen es nicht in die Banner von Google, Amazon oder der Medienanstalten und schon gar nicht zu einer Orgie von Sondersendungen. Der Terror gehört dort schließlich zum Alltag, meint man, aber nicht bei uns. Oder?

 

Psychologie und Logik – »Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen« (Peter Ustinov)

Terrorismus kommt nicht aus dem Nichts. Nach einer Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), hat der »Krieg gegen den Terror« weit mehr als eine Million Opfer gekostet. Hussein und Gaddafi waren Despoten, mit islamistischem Terror hatten sie, so wie Assad, aber im Gegensatz zu den Golfmonarchen, nichts zu tun. Im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder über Umwege in Syrien und im Jemen ist er westlicher Import, so erfolgreich, dass er in immer kürzeren Abständen retourniert wird. Und das führt zu Veränderungen, dort Chaos und Flucht, hier Furcht und Überwachung. Ein neuer Alltag – Flüchtlinge inklusive – wird etabliert. Dringende Fragen – wieso konnten die Attentäter trotz ausufernder und gezielter Überwachung, trotz Notstandsgesetzten und den Hinweisen ausländischer Dienste nicht gestoppt werden? Wieso lassen sich ihre Finanzströme nicht unterbinden, werden die Finanziers nicht gestoppt, lässt man tausende Europäer via Türkei zum IS reisen? – werden nicht gestellt. Furcht vor der Antwort?

 

Was man sieht, was man nicht sieht

Hochgerüstete Polizei, Soldaten in den Straßen, Kameras für jeden Schritt und Tritt, so sieht der Alltag in europäischen Metropolen heute aus. Und trotzdem knallt es. Was soll die Präsentation von Maschinengewehren durch martialische Polizisten? Einen Selbstmordattentäter am Zünden seines Sprengstoffgürtels hindern? Ihn auf seinem letzten Gang, womöglich vollgepumpt mit Drogen, doch noch zum Umdenken bewegen? Ihn zu erschießen, weil doppelt tot besser hält und einfache Pistolen oldschool sind? Oder ist es ein Spiel mit der Psychologie der Massen, der seit 1984 überfälligen Einführung des großen Bruders, on- und offline?

 

Der in Folge des Anschlags von San Bernadino unternommene Versuch von Apple sich als Wächter der Grundrechte zu generieren und vom FBI, sich mittels Präzedenzfall zum großen Bruder zu krönen – Apple verweigerte dem FBI nach einer gerichtlichen Anweisung Zugang zum Smartphone des Attentäters, das FBI hat das iPhone trotzdem geknackt – sollte was? Künftig Anschläge verhindern? Klarmachen, dass nur Konzerne ihre Kunden ausspionieren dürfen oder den Eindruck vermitteln, dass sich Dienste, mit Ausnahme der NSA, an Gesetze halten? Dabei ist doch nicht erst seit den gehackten Mails von Hillary Clinton klar, dass Google, Facebook und Co mit den Diensten kooperieren. Was also bleibt dem Bürger im neuen Alltag? Auf den nächsten Anschlag warten und sich vorsorglich mit Flaggen westlicher Länder für die nächsten Solidaritätsbekundungen einzudecken oder Widerstand – gegen den Abbau der Grundrechte und weiterer Angriffskriege – zu leisten, wobei wir wieder bei der Definition von Terrorismus wären. Armer neuer Alltag.

 

 

Mein Beitrag erschien bei TRAFFIC – NEWS TO GO.

 

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