Treffen sich Castro, Putin und der Papst, so könnte ein Witz beginnen, tut es aber nicht. Getroffen haben sie sich – zusammen mit anderen Staatsvertretern und Oberhäuptern – trotzdem. Und zwar bei der UNO.
Von Mitte September bis Anfang Oktober 2015 findet in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen, die 70. Tagung der UN-Generalversammlung statt. Dabei geht es um dringendste globale Themen, nichts zum Lachen, eher zum Heulen. Die Tagung steht unter Leitung des Dänen Mogens Lykketoft. In der Folge Auszüge aus den Reden von Papst Franziskus, von Raúl Castro und Vladimir Putin:
Zunächst aber Mogens Lykketoft:
Es ist eine traurige aber unvermeidbare Feststellung, dass die Welt heute unter bewaffneten Konflikten, Terrorismus, gewalttätigem Extremismus und Radikalismus, nuklearer Aufrüstung, sowie wachsenden Gefahren an weiteren Spannungen unter den Großmächten leidet. […] Es scheint offensichtlich, dass nur eine Welt, die Respekt vor den grundlegendsten Menschenrechten zeigt, hinreichend ausgewogen, wie auch sozial und wirtschaftliche nachhaltig sein kann.
Die Rede von Papst Franziskus in Auszügen:
Jedem das Seine zu geben – gemäß der klassischen Definition von Gerechtigkeit – bedeutet, dass weder eine Einzelperson noch eine Menschengruppe sich als allmächtig betrachten darf, dazu berechtigt, über die Würde und die Rechte der anderen Einzelpersonen oder ihrer gesellschaftlichen Gruppierungen hinwegzugehen. […]
Vor allem ist zu bekräftigen, dass es ein wirkliches Recht der Umwelt gibt, und zwar aus zweifachem Grund. Erstens, weil wir Menschen Teil der Umwelt sind. […] Der zweite Grund besteht darin, dass jedes Geschöpf – besonders die Lebewesen – einen Eigenwert hat, einen Wert des Daseins, des Lebens, der Schönheit und der gegenseitigen Abhängigkeit mit den anderen Geschöpfen. […]
Der Missbrauch und die Zerstörung der Umwelt gehen zugleich mit einem unaufhaltsamen Prozess der Ausschließung einher. Tatsächlich führt ein egoistisches und grenzenloses Streben nach Macht und materiellem Wohlstand dazu, sowohl die verfügbaren materiellen Ressourcen ungebührlich auszunutzen als auch die auszuschließen, die schwach und weniger tüchtig sind, sei es weil sie in anderen Befindlichkeiten leben, sei es weil ihnen die geeigneten technischen Kenntnisse und Instrumente fehlen oder weil ihre politische Entscheidungsfähigkeit nicht ausreicht. Die wirtschaftliche und soziale Ausschließung ist eine völlige Verweigerung der menschlichen Brüderlichkeit und ein äußerst schwerer Angriff auf die Menschenrechte und auf die Umwelt. Die Ärmsten sind diejenigen, die am meisten unter diesen Angriffen leiden, und zwar aus dreifachem schwerem Grund: Sie sind von der Gesellschaft weggeworfen, sind zugleich gezwungen, von Weggeworfenem zu leben, und müssen zu Unrecht die Folgen des Missbrauchs der Umwelt erleiden. […]
Die Welt verlangt von allen Regierenden einen wirklichen, praktischen, beständigen Willen zu konkreten Schritten und unverzüglichen Maßnahmen, um die natürliche Umwelt zu bewahren und zu verbessern und das Phänomen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausschließung mit seinen traurigen Folgen wie Menschenhandel, Handel von menschlichen Organen und Geweben, sexuelle Ausbeutung von Knaben und Mädchen, Sklavenarbeit einschließlich Prostitution, Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und internationale organisierte Kriminalität so schnell wie möglich zu überwinden. […]
Aus allen diesen Gründen werden das Mittel und der einfachste und geeignetste Indikator für die Erfüllung der neuen Entwicklungs-Agenda der effektive, praktische und unverzügliche Zugang aller zu den unentbehrlichen materiellen und geistigen Gütern sein: eigene Wohnung, würdige und ordnungsgemäß vergütete Arbeit, geeignete Ernährung und Trinkwasser; Religionsfreiheit und allgemeiner: geistige Freiheit und Bildungsfreiheit. Diese Säulen der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung haben zugleich ein gemeinsames Fundament, nämlich das Recht auf Leben und noch allgemeiner gesagt: das, was wir als das Existenzrecht der menschlichen Natur selbst bezeichnen könnten. […]
Die ökologische Krise könnte zusammen mit der Zerstörung eines großen Teils der biologischen Vielfalt die Existenz der Spezies Mensch selbst in Gefahr bringen. Die unheilvollen Auswirkungen einer unverantwortlichen Zügellosigkeit der allein von Gewinn- und Machtstreben geleiteten Weltwirtschaft müssen ein Aufruf zu einer ernsten Reflexion über den Menschen sein: Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur. […]
Ohne die Anerkennung einiger unüberwindlicher natürlicher ethischer Grenzen und ohne ein unverzügliches Handeln im Sinne jener Grundpfeiler der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung läuft das Ideal, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren und den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern Gefahr, sich in eine unerreichbare Illusion zu verwandeln oder – noch schlimmer – in leere Worte, die als Ausrede für jede Art von Übergriff und Korruption dienen oder dazu, eine ideologische Kolonialisierung zu fördern, indem man abnorme Lebensmodelle und -stile durchsetzt, die der Identität der Völker fremd und letztlich unverantwortlich sind. […]
Der Krieg ist die Negierung aller Rechte und ein dramatischer Angriff auf die Umwelt. Wenn man eine wirkliche ganzheitliche menschliche Entwicklung für alle anstrebt, muss man weiter unermüdlich der Aufgabe nachgehen, den Krieg zwischen den Nationen und den Völkern zu vermeiden. […]
Eine Ethik und ein Recht, die auf der Bedrohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise einer Zerstörung der gesamten Menschheit – beruhen, sind widersprüchlich und stellen einen Betrug am gesamten Gefüge der Vereinten Nationen dar, die zu einer Vereinigung von Nationen aufgrund von Furcht und Misstrauen würden. Man muss sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen, indem man den Nichtverbreitungsvertrag dem Buchstaben und dem Geist nach gänzlich zur Anwendung bringt bis zu einem völligen Verbot dieser Instrumente. […]
Das gemeinsame Haus aller Menschen muss sich weiterhin über dem Fundament eines rechten Verständnisses der universalen Brüderlichkeit und der Achtung der Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens erheben – jedes Mannes und jeder Frau; der Armen, der Alten, der Kinder, der Kranken, der Ungeborenen, der Arbeitslosen, der Verlassenen und derer, die man meint wegwerfen zu können, weil man sie nur als Nummern der einen oder anderen Statistik betrachtet. Das gemeinsame Haus aller Menschen muss auch auf dem Verständnis einer gewissen Unantastbarkeit der erschaffenen Natur errichtet werden. […]
Auszüge der Rede von Raúl Castro:
Die unannehmbaren Ausmaße von Armut und sozialer Ungleichheit dauern an und nehmen in vielen Fällen sogar in den Industrienationen selbst zu. Die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden, sowie die Polarisierung des Reichtums wächst. Wir müssen feststellen, dass wir noch weit davon entfernt sind, über eine wirkliche weltweite Vereinigung im Hinblick auf Entwicklung zu verfügen. […]
Mitten in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise werden die Wohlhabenden und die transnationalen Konzerne immer reicher, während die Zahl der Armen, der Arbeits- und der Obdachlosen aufgrund der so genannten Austeritätsstrategien dramatisch zunimmt. Wellen verzweifelter Immigranten kommen auf der Flucht vor dem Elend und vor anderen entfachten Konflikten nach Europa. […]
Wenn wir eine bewohnbare Welt des Friedens und der Eintracht zwischen den Nationen, der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit, der Würde und des Respekts vor den Menschenrechten Aller wollen, müssen wir so bald wie möglich greifbare Verpflichtungen in Bezug auf Entwicklungshilfe eingehen und das Problem der schon mehrfach beglichenen Verschuldung lösen. Man müsste eine andere Finanzarchitektur errichten, das Technologie- und Wissensmonopol beseitigen und die gültige internationale Wirtschaftsordnung verändern. […]
Die industrialisierten Länder müssten ihre historische Schuld anerkennen und das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten akzeptieren. Dabei kann das Fehlen von Ressourcen nicht angeführt werden, wo man doch 1,7 Billionen Dollar im Jahr für Militärausgaben verwendet, ohne deren Reduzierung weder eine Entwicklung noch ein stabiler und dauerhafter Friede möglich sein werden.
Und Auszüge aus der Rede von Vladimir Putin:
Wir alle wissen, dass die Welt am Ende des Kalten Krieges ein einziges Herrschaftszentrum besaß, und jene, die sich an der Spitze der Pyramide wiederfanden, waren versucht, zu denken, sie wüssten, da sie so mächtig und außerordentlich seien, am besten, was zu tun sei, und daher müssten sie auf die UN keine Rücksicht mehr nehmen, die ihnen oft im Weg steht, statt die Entscheidungen, die sie brauchen, schlicht durchzuwinken. […]
Russland ist bereit, mit seinen Partnern zusammenzuarbeiten, um die UN auf Grundlage eines breiten Konsens weiterzuentwickeln, aber wir erachten jeden Versuch, die Legitimität der Vereinten Nationen zu untergraben, als höchst gefährlich. Sie können zum Zusammenbruch der gesamten Architektur der internationalen Beziehungen führen, und dann bliebe tatsächlich keine Regel außer der Macht des Stärkeren. Die Welt würde von Selbstsucht beherrscht statt von gemeinsamem Streben, vom Diktat statt von Gleichheit und Freiheit, und statt wirklich unabhängiger Staaten hätten wir Protektorate, die von außen kontrolliert werden. […]
Wir sind alle verschieden, und das sollten wir respektieren. Nationen sollten nicht gezwungen werden, sich alle an das gleiche Entwicklungsmodell anzupassen, das irgendwer zum einzig angemessenen erklärt hat. […]
Die Lage ist extrem gefährlich. Unter diesen Umständen ist es heuchlerisch und unverantwortlich, Erklärungen über die Bedrohung durch den Terrorismus abzugeben und zur gleichen Zeit die Augen zu verschließen vor den Kanälen, durch die die Terroristen finanziert und unterstützt werden, einschließlich der Erträge aus Drogenhandel, illegalem Ölhandel und Waffenhandel. Es ist gleichermaßen unverantwortlich, extremistische Gruppen zu manipulieren und sie zu nutzen, um politische Ziele zu erreichen, in der Hoffnung, dass man später einen Weg finden wird, sie loszuwerden oder irgendwie auszulöschen. […]
Es geht jedoch nicht um Russlands Absichten, liebe Kollegen, sondern um die Anerkennung der Tatsache, dass wir den gegenwärtigen Stand der Dinge auf der Welt nicht länger hinnehmen können. Was wir tatsächlich vorschlagen, ist, uns von gemeinsamen Werten und Interessen leiten zu lassen statt von Ambitionen. Auf Grundlage des Völkerrechts müssen wir unsere Bemühungen vereinen, um die Probleme anzugehen, denen wir uns alle gegenüber sehen, und eine wirkliche breite internationale Koalition gegen den Terrorismus zu schaffen. […]
Bedauerlicherweise sind einige unserer Kollegen noch in der Denkweise des Kalten Krieges befangen und im Begehren, neue geopolitische Räume zu erobern. Zuerst setzen sie ihre Politik der NATO-Expansion weiter fort – man muss sich darüber wundern, denn der Warschauer Vertrag existiert schon längst nicht mehr, und die Sowjetunion hat sich aufgelöst. Dennoch expandiert die NATO weiter, einschließlich ihrer militärischen Infrastruktur. […]
Eine Reihe von Nationen hat sich dafür entschieden, ein ausschließliches Wirtschaftsbündnis zu schaffen, dessen Errichtung hinter geschlossenen Türen verhandelt wird, vor der Öffentlichkeit dieser Nationen, deren Wirtschaft ebenso verborgen wie vor dem Rest der Welt. Andere Staaten, deren Interessen berührt sein könnten, wurden ebenfalls von nichts informiert. Es scheint dass jemand uns einige neue Spielregeln überstülpen will, die maßgeschneidert sind, um den Interessen einiger weniger privilegierter zu dienen, wobei die WTO nichts mitzureden hat. […]
Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir zusammenarbeiten, eine stabile und sichere Welt schaffen und für eine Umgebung sorgen können, die die Entwicklung aller Nationen und Völker ermöglicht.
Mein Beitrag erschien bei NEOPresse.
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