Warten – auf bessere Zeiten

Seit der Eurokrise herrscht im sonnigen Griechenland soziale Kälte. Für die Taxifahrer von Katerini sind harte Zeiten angebrochen. Ein Augenschein aus dem kriselnden Südeuropa.

 

Babis sitzt mit seinen Kollegen im Schatten auf einer kleinen Steinmauer am Rande des Stadtparks von Katerini, rund 70 km südlich von Thessaloniki. Vor den Männern stehen ihre gelben Taxis – fein aufgereiht, wie an einer Schnur. Die Sonne treibt die Temperaturen an diesem Samstagmittag im August über dreißig Grad. Trotz Sonne, Palmen und Meer ist die Lage für die Fahrer von Katerini angespannt – wie für alle Griechen.

 

Seit der Krise ist in Griechenland einiges anders und für viele schlechter geworden. »Die Leute haben weniger Geld, also fahren auch weniger Taxi«, erklärt Babis in seinem grünen Hemd, die Sonnenbrille im Ausschnitt hängend. Er geht vor zu seinem Taxi, macht die Türe auf, setzt sich auf den Beifahrersitz und druckt die Abrechnung des heutigen Tages aus. »Schau«, sagt er, streicht seine Steuernummer auf der Abrechnung durch und zeigt, dass er heute schon seit fünf Stunden und drei Minuten fährt und erst bei 27,76 Euro Umsatz ist. »Ungefähr um die Hälfte sind die Umsätze eingebrochen«, erklärt Babis.

 

Sein Kollege Dimi fährt eine E-Klasse, ist 36 Jahre alt, verheiratet und Vater. Er verschränkt die Hände und erzählt, dass er schon vor 15 Jahren mit dem Taxifahren in Katerini angefangen hat. Die Lizenz hat er damals von seinem Vater bekommen. Neben ihm steht sein »Frappé«, der in Griechenland beliebte aufgeschäumte Kaffee mit Eiswürfeln. Dimi lässt die Füße an der Mauer baumeln und erklärt, dass es hier keine angestellten Fahrer gibt. Alle sind selbständig, jeder hat eine Lizenz für sein Taxi, entweder gekauft oder gemietet. »Der Preis für eine Lizenz lag hier sogar zwischen 100.000 und 250.000 Euro«, sagt er.

 

In Katerini gibt es zur Zeit 122 Taxilizenzen. Die Stadt hat etwas über 80.000 Einwohner und die Preise für eine Lizenz liegen immer noch bei 60.000 Euro. Doch eine kaufen will jetzt niemand. Die ersten 13 Jahre ist Dimi nur nachts gefahren. Einmal hat er sogar drei Ausbrecher aus der psychiatrischen Anstalt 200 km weit bis nach Volos gebracht und sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Auch einen Unfall mit Totalschaden und kurzem Krankenhausaufenthalt hat er in seiner Taxikarriere schon hinter sich. Seit der Krise ist im Sommer nachts weniger los und deshalb fährt er jetzt nur noch tagsüber. Auf einmal springt Dimi auf. Er ist der Erste in der Reihe und hat eine Fahrt. »Ich wünsche dir alles Gute, mein Freund«. Ein kurzer Blick zu Babis und den Kollegen, und er verschwindet mit seiner E-Klasse hinter der ersten Ecke.

 

Am meisten machen den Fahrern ihre Fixkosten aus Sozialabgaben und Pflichtversicherung zu schaffen

 

»Die Fixkosten liegen bei etwa 450 Euro im Monat und steigern sich von Jahr zu Jahr«, sagt Babis. Dazu kommen dann noch die Kosten für den Sprit. Der Liter Diesel kostet in Griechenland derzeit um die 1,60 Euro. Bei manchen kommen auch noch die Belastungen für die Lizenz und den Wagen hinzu. Babis rechnet vor, dass sie mit den Pflichtabgaben und Diesel auf ungefähr 50 Euro Kosten pro Tag kommen. Die müssen eingefahren werden, bevor der erste Euro verdient ist. Für Babis und seine Kollegen heisst es seit der Krise: Mehr Arbeiten und weniger Verdienst. Babis fährt 7 Tage die Woche 12 Stunden pro Schicht und der Verdienst reicht, wenn überhaupt, gerade einmal um über die Runden zu kommen.

 

In der Zwischenzeit ist ein weiteres Taxi angekommen. Der Fahrer, um die fünfzig, in Poloshirt und etwas grauem, kurzem Haar steigt aus. Er sieht seine Kollegen beim Diskutieren, stellt sich dazu und stützt einen Fuß auf die Steinmauer. »Ich bin Thomas«, sagt er. Thomas kommt aus Kanada, das heisst, er ist vor knapp zwei Jahren aus Kanada nach Griechenland zurückgekommen. In Kanada ist er auch Taxi gefahren. Seine erwachsenen Kinder sind noch dort. Er ist wegen der restlichen Familie und dem Haus zurückgekehrt – trotz Krise. »Sie müssen uns die Schulden kürzen, andernfalls besteht die Gefahr, dass das griechische Volk zu Grunde gespart wird und dann gibt es gar nichts mehr zu holen«, erzählt er. »Schliesslich haben die anderen auch gut am griechischen Volk und seiner Verschuldung verdient. Zum Beispiel Siemens durch Korruption oder die Rüstungskonzerne«, sagt er. Thomas kann auch nicht verstehen, warum ausgerechnet die Zahlungsschwächsten die höchsten Zinsen zahlen sollen. »Das macht eigentlich keinen Sinn«, sagt er, obwohl dieses Vorgehen der Kreditgeber gerne genutzt wird, um sich Ressourcen, Infrastruktur oder Dienste eines Landes zu sichern.

 

Die Griechen haben in ihrer Geschichte lange und oft unter Besatzung und Fremdherrschaft gelitten

 

Die Vorgaben der Troika werden von den meisten Griechen als Knebelung, als eine neue Form der Fremdbestimmung gesehen. Einige wollen ihre Drachme zurück, andere weiterhin den Euro. Die Zukunft Griechenlands ist für die Fahrer sehr unsicher, genauso wie ihre eigene Zukunft im Taxigewerbe von Katerini. Als Athen Pläne bekannt gab, die Taxilizenzen freizugeben, war der Widerstand der Taxifahrer gross – auch in Katerini. Mit Bussen sind sie alle in die Hauptstadt gefahren, um gegen das Vorhaben zu demonstrieren. »Es wäre unser Ende gewesen«, sagt Babis. Warum die Regierung dies vor hatte? »Um Wählerstimmen zu bekommen«, sagt er, es standen ja die Wahlen an. Bei den letzten Wahlen kam Chrysi Avgi – die neonazistische Partei der goldenen Morgenröte – auf sieben Prozent. Ihre Anhänger tragen auf der Strasse und auf Volksfesten stolz T-Shirts der Partei. In Athen laufen sie sogar Patrouille und auch von Wahlbetrug der beiden grossen Parteien ist die Rede. In den letzten Jahren haben sich immer PASOK und Nea Demokratia an der Regierung abgewechselt. Man konnte die griechische Politik der letzten Jahre mit dem griechischen Fussball vergleichen. Im Schatten der Korruption spielen da nur Olympiakos und Panathinaikos um die Meisterschaft. Dabei wurde das linke Bündnis Syrisa bei der letzten Wahl zweitstärkste Kraft.

 

In Griechenland ist der Winter zwar kurz, dafür aber schlecht für das Taxigeschäft. Babis erzählt, dass in Katerini im Winter nichts los sei und sie den nächsten Winter deshalb besonders fürchten. Trotz steigender Kosten haben die Taxifahrer von Katerini ihre Preise sogar gesenkt. Bei einer telefonischen Bestellung zahlt man jetzt keine 5,30 Euro mehr. Die Anfahrt ist umsonst und die Bestellung kostet nur noch 3,40 Euro. Auf den Strassen bekommt man schon Flyer von Pfandhäusern in die Hand gedrückt. Griechenland erinnert ein wenig an die Zeit der ersten Weltwirtschaftskrise – braune Patrouillen, Pfandhäuser, korrupte Eliten, Ausverkauf von Ressourcen, steigende Lebenshaltungskosten, gestrichene Sozialleistungen, sinkende Löhne – und Streiks, jede Menge Streiks. Der Mindestlohn liegt in Griechenland jetzt bei nur noch knapp 500 Euro brutto im Monat.

 

Babis wartet schon seit über einer Stunde hier am Stadtparkstand. Er setzt sich wieder auf die Mauer im Schatten neben seine Kollegen. Einige rauchen, manche trinken Frappé oder sitzen einfach da und diskutieren. Den Taxifahrern von Katerini bleibt in diesen unsicheren Zeiten nur eines: Im Schatten der Bäume zu warten – auf den nächsten Fahrgast und ganz besonders auf eine bessere Zukunft.

 

 

Mein Beitrag erschien bei INFO8.

 

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