Weg aus Damaskus – und zurück

Widerstand – Wer in Syrien friedlich demonstriert wird verfolgt. Wie auch die Studentin Manar. Als ihr Mann sie telefonisch nicht erreichen konnte, wurde ihm klar: Sie sitz in Haft.

 

Es war die revolutionäre Stimmung an der Universität, von der sich Manar al-Halabi anstecken ließ. »Ich war schon immer gegen die Diktatur in meinem Land«, sagt sie. »Aber oft fehlten mir der Mut und auch die Gelegenheit, etwas gegen das herrschende System in Syrien zu unternehmen.« Dann aber begannen die Studenten untereinander, sich zu organisieren, über Facebook, über Skype. Sie demonstrierten, friedlich, unbewaffnet. Und dennoch musste Manar al-Halabi diesen Sommer aus Syrien mit ihrem Mann fliehen. Sie sind in Deutschland gelandet, in München, bei ihrem Cousin.

 

Dort sitzt sie jetzt, auf dem Rand des Sofas, im Wohnzimmer des Cousins, in einem Vorort von München. Die junge Syrerin ist 22 Jahre alt, trägt eine schwarze Hose, einen roten Pulli und ein locker um den Kopf gewickeltes weißes Tuch, unter dem ihre braunen Haare etwas hervorkommen. Der Name Manar al-Halabi ist nicht ihrer, er dient ihr als Schutz. Sie nimmt ihren Rechner, auf dem Bildschirm: eine E-Mail. Ein Brief eines politischen Exhäftlings, sagt sie. Er habe ihn ihr geschickt. »Als ich diesen Brief erhalten habe, wusste ich noch nicht, dass ich bald meine eigenen Erfahrungen mit dem System machen würde.« Sie spricht kein Englisch, aber der Cousin übersetzt für sie.

 

Al-Halabi studierte in Damaskus Medienwissenschaft. Ihr Engagement bestand lediglich darin, Spenden an die Opfer des Regimes zu verteilen. Dann fing sie an, auf verbotene Veranstaltungen und Demonstrationen zu gehen. Dies alles blieb von einigen regimetreuen Kommilitonen nicht unbemerkt. Als al-Halabi einer Vorladung der Studentenvereinigung folgte, einer Organisation der herrschenden Baath-Partei, wurde sie zum ersten Mal verhaftet.

 

Dann kam der 29. Mai 2012. Al-Halabi brach mit einer Freundin zu einer verbotenen Demonstration auf, im Zentrum von Damaskus. Sie hatten sich übers Internet verabredet. Die Seiten seien zwar zensiert, aber man könne die Zensur mit einer bestimmten Proxy-Software umgehen, erzählt sie. Geholfen hätten ihnen dabei andere Studenten. Es war eine friedliche Demonstration. Im Andenken an die Opfer des »Massakers von Hula«, das vier Tage zuvor stattgefunden hatte, trugen alle eine weiße Rose.

 

Plötzlich tauchte der Geheimdienst auf, getarnt in Krankenwagen. Erst feuerten sie Warnschüsse in die Luft ab. Es seien vor allem junge Frauen anwesend gewesen, wie viele genau, weiß sie nicht mehr. Sie versuchten wegzurennen. Ein Soldat hielt Manar al-Halabi fest. Sie bot ihm alle ihre Ringe, ihr Bargeld; dann kam der Vorgesetzte – und sie wurde zu den Fahrzeugen gebracht, geohrfeigt. Man brachte sie in ein Gebäude des Geheimdienstes, wieder Ohrfeigen. »Unten waren Zellen und oben Büros«, erinnert sich al-Halabi. »Wir kamen nach unten.« In einem Zimmer mussten sie warten, dann wurden sie getrennt.

 

»Die Menschen, die in Syrien auf die Straße gehen, haben keine Stimme, kein politisches Sprachrohr«, sagt sie. Ihr Mann schaltet sich ein, er meint: »Der Westen schert sich nicht um die Menschenrechte.« Die Geschichte habe zeigt, dass Interventionen strategische Züge eines blutigen Schachspiels um Macht und Vorherrschaft sind. »Am Ende muss das syrische Volk für eine Intervention bezahlen«, sagt er. Das Ausland solle sich deshalb heraushalten.

 

Nach stundenlangem Warten an diesem Maitag in Damaskus kam ein erster Agent. »Hab keine Angst und erzähl einfach alles, was du weißt. Wir sind auf deiner Seite«, soll er gesagt haben. Dann ließ man sie warten. Ein anderer Mitarbeiter kam, drohte mit Gefängnis und Schlägen. Man wollte sie mürbe machen, sagt al-Halabi. Ihr Mann wusste, dass sie an diesem Tag auf der Demonstration war. Als er sie telefonisch nicht erreichen konnte, wurde ihm klar: Sie sitzt in Haft. Ihr Vater ließ über Kontakte nachfragen, wo sie sich aufhielt, und kaufte sie für 100.000 syrische Pfund, etwa 1.500 Euro, noch in derselben Nacht mit einer Anzahlung frei. Am nächsten Tag musste sie wiederkommen, der Geheimdienst wollte Namen wissen. Als die Familie aber das restliche Geld mitbrachte, da war die Sache mit den Namen plötzlich nicht mehr so wichtig. »Du bist schuldig, aber wir lassen dich jetzt ein letztes Mal gehen. Wenn noch mal etwas passiert, bekommst du keine Chance mehr«, so erinnert sich al-Halabi an seine Worte. Ihre Freundin musste drei Monate im Gefängnis bleiben. Über das Schicksal der anderen Frauen weiß sie nichts.

 

Am 28. August rief sie ein Freund an. »Er hat erzählt, dass jemand aus unserer Gruppe verhaftet wurde und Namen, auch meinen, genannt hat«, erzählt sie. Ihre Netzeinträge hat Manar al-Halabi, so weit es geht, gelöscht. Keine Spuren, keine Beweise hinterlassen. »Wir haben uns entschlossen, aus Syrien zu verschwinden«, sagt ihr Mann.

 

Jederzeit bereit zu rennen

Am 3. September brach al-Halabi mit ihrem Mann, den Eltern und einem Onkel in Richtung Libanon auf. »An der Grenze hatten wir große Angst.« Sie wollten fliehen, sobald klar werden sollte, dass sie gesucht werden. »Zwischen der Grenze und der Passkontrolle ist ein Streifen von ungefähr 300 Metern, eine freie Fläche.« Der Onkel ging zur Passkontrolle, während sich das Ehepaar einige hundert Meter vom Auto entfernte, jederzeit bereit zu rennen. »Zum Glück gab es aber keine Probleme. Die Pässe wurden nur abgestempelt«, sagt sie. Dann ging es nach Beirut, und mit einem regulären Visum nach Deutschland. »Nun sind wir hier«, erzählt al-Halabi.

 

Es war nicht geplant, dass sie zurückkehren. Ihr Mann wollte sich in München eine Arbeit suchen, er fand keine. Seine Mutter in Syrien erkrankte. Manar al-Halabi wollte so gern ihr Studium beenden. Und im Internet hörten sie von ihren Mitstreitern immer wieder, was in Syrien vor sich ging. Es gab viele Gründe, München zu verlassen. Zu wenige, um zu bleiben. Ob sie es tatsächlich zurück nach Damaskus schaffen werden, wissen sie noch nicht.

 

 

Mein Beitrag erschien in der taz.

 

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