Warum wir bald keine Schlachthöfe mehr brauchen

Fleisch essen, ohne Blut zu vergießen. Geht das? In der Biotechnologie ist es schon vor einigen Jahren gelungen, Fleisch künstlich im Labor zu kreieren. Die Methode massentauglich zu machen wäre nötig, nicht nur den Tieren zuliebe!

 

Rosa Luxemburg beschrieb einst, wie Tiere beim Abladen ganz still und erschöpft standen. Und eins dieser Tiere, »welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß wofür, und auch nicht weiß wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll.«

 

Szenen wie diese müssen in Zukunft nicht mehr zum Alltag gehören. Es geht aber nicht nur um Moral.

 

Bereits in den 1990er-Jahren wurden sogenannte In-vitro-Modelle – was so viel wie »im Glas« bedeutet – zur Bestimmung von Keimen in Fleischproben verwendet. In der Folge begann man, an der Entwicklung von In-vitro-Fleisch zu forschen. Ziel war es, Fleisch im Labor zu kreieren, um es im industriellen Maßstab synthetisch produzieren und verzehren zu können.

 

Das Modell basiert auf Methoden der Zellkultur, insbesondere auf den Methoden der Gewebezüchtung, der künstlichen Herstellung biologischer Gewebe. Die Ausgangszellen können dem jeweiligen Tier schmerzfrei via Biopsie entnommen werden, ganz ohne Qual und Henker.

 

Danach wachsen und vermehren sich die Zellen in einem kontrollierten Mehrmedium. Das Medium enthält Antibiotika, damit Bakterien die Kultur nicht verunreinigen.

 

Nach wenigen Wochen – die Zirkulation des Kulturmediums in rotierenden Flaschen erhöht die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff – hat man dann genügend Zellen, um ein Stück Fleisch zu kreieren.

 

Die Methode kommt ohne Eingriffe in die DNA-Sequenzen von Zellen, also ohne den Einsatz von Gentechnik, aus. Die dabei zugrunde liegende Technologie wird schon seit Längerem in der Medizin mit menschlichen Hautzellen angewendet, um Transplantate bei Brandverletzungen zu züchten.

 

Theoretisch könnte auf diese Weise der weltweite Fleischverbrauch gedeckt werden. Und das wäre dringend nötig, denn der Konsum von Fleisch hat sich in den letzten 50 Jahren vervierfacht, was Tieren und dem Planeten jeden Tag einen enormen Schaden zufügt.

 

Heute wird die Zahl vegetarisch und vegan lebender Menschen weltweit auf rund 1 Milliarde geschätzt. Die steigende Nachfrage nach verbessertem Fleischersatz, vegetarischer und veganer Ernährung, dürfte aber nicht nur auf die Ansicht, dass es sich beim Verzehr von totem Leben um ein »Überbleibsel der grössten Rohheit« handeln würde, wie Leo Tolstoi meinte, oder gar die Vorstellung, ein Tier könne im Jüngsten Gericht sitzen, zurückgehen.

 

Auch die nackten Zahlen machen nachdenklich. Schlachtet die Menschheit doch jedes Jahr rund 300 Millionen Rinder, 4 Milliarden Schweine, 1 Milliarde Schafe und Ziegen, 5 Millionen Pferde, 2 Millionen Kamele, 3,5 Milliarden Enten und Puten oder 60 Milliarden Hühner ab.

 

Dazu kommt noch alles, was aus dem Wasser kommt. Und da die Weltbevölkerung immer schneller zunimmt und auch Menschen in Schwellen-und Entwicklungsländern, besonders in Asien, man denke an die 1,4 Milliarden Chinesen, mehr Fleisch wollen, gibt es ein akutes Problem mit Mutter Erde.

 

Nach Angaben der UN werden 30 Prozent der eisfreien Fläche unseres Planeten für die Nutztierhaltung verwendet. Bezieht man die Futtermittelherstellung mit ein, so werden pro Kilogramm Rindfleisch rund 100.000 Liter Wasser benötigt.

 

Schon heute beutet die Landwirtschaft in wenig geeigneten Regionen, etwa in Wüstengegenden, Böden aus – die Fleischproduktion nimmt rund 70 Prozent der verfügbaren landwirtschaftlichen Fläche ein – so ist eine weitere Expansion schwer vorstellbar.

 

Bei einer wachsenden Weltbevölkerung von täglich rund 230.000 Menschen und vorausgesetzt alle streben den Fleischkonsum der Europäer an, werden jeden Tag 60.000 Hektar neues Farmland und schon bald mehr als eine Erde nötig sein. Berücksichtigt man den Ressourcenverbrauch für den westlichen Lebensstil, so werden es dreieinhalb Erden.

 

Würde die Europäische Union das Ziel einer autarken Versorgung und einer tiergerechten Haltung anstreben, so müssten nicht nur sämtliche Landflächen in Weideland umgewandelt werden, sondern auch noch ein Viertel des afrikanischen Kontinents – inklusive bisheriger Ackerflächen, aller Wälder, Wüsten und Städte.

 

Spitzenreiter beim Fleischverbrauch sind die USA. Das führt in den Vereinigten Staaten unter anderem dazu, dass man unzählige Rinder in sogenannten Feedlots – auf einem Quadratkilometer über 100.000 Tiere – zusammenpfercht.

 

Eine glückliche Kuh auf der Weide verbraucht, im Vergleich zu einer Kuh aus industrieller Haltung, bis zu zehn Mal mehr Fläche. Und ein Paar, das sich nach durchschnittlichem Fleischkonsum ernährt, etwa in Deutschland, erfordert eine Anbaufläche von rund 4.600 Quadratmetern für seine Lebensmittel.

 

Ein sich vegetarisch ernährendes Paar dagegen nur 1.300 Quadratmeter. Hinzu kommt, dass industrielle Tierhaltung Unmengen an Getreide und Soja – Schlachttiere fressen etwa ein Drittel der weltweiten Getreideernte weg – verschlingt, zur Ausbreitung von Seuchen beiträgt und den Treibhauseffekt durch den Ausstoß von Methan verstärkt.

 

In-vitro-Fleisch könnte nach Cicero – »Ich bitte dich nicht, mich zu verschonen, wenn du in Not bist, sondern nur, wenn du frevelhafte Begierde hast. Töte mich, um zu essen, aber morde mich nicht, um besser zu essen!« – also nicht nur das Morden an Tieren der Gelüste wegen reduzieren, es hätte auch ein enormes Potenzial für Ökologie und Gesundheit.

 

Durch die Züchtungen in sterilen Zellkulturen oder Bioreaktoren – hier kommen Zellen, Medien und Andockmaterial zusammen – die sich besser zur industriellen Fertigung eignen, könnte auch die Überwachung und Fernhaltung von Krankheitserregern oder Giftstoffen bald einfacher umgesetzt werden.

 

Kostete die Herstellung des ersten Burger aus dem Labor, im Jahr 2013 von Professor Mark Post von der Universität Maastricht präsentiert, noch rund 340.000 US-Dollar und war geschmacklich noch nicht ganz perfekt, so gab das Unternehmen Mosa Meat 2015 bekannt, dass der Preis bereits auf umgerechnet rund 60 bis 70 Euro pro Kilogramm gesenkt werden konnte.

 

Peter Verstrate von Mosa Meat ist zuversichtlich, Laborburger bis 2020 auf dem Markt anbieten zu können. Dafür sollen noch mehr Wissenschaftler eingestellt werden. Weitere Start-up-Unternehmen, wie Memphis Meats oder Modern Meadow forschen daran, Leder und Fleisch in Zukunft ohne Tierleid zu produzieren.

 

Andere alternative Firmen, wie Muufri, entwickeln etwa künstliche Kuhmilch oder, wie Impossible Foods, pflanzliche Burger, die wie Fleischburger schmecken. Die hergestellten In-Vitro-Gewebe hätten laut Forschern jedenfalls dieselbe Struktur wie die im lebenden Tier.

 

Das Fleisch müsse auch wie Herkömmliches schmecken, andernfalls wird es schwer, Konsumenten zu überzeugen, auf Fleisch von geschlachteten Tieren zu verzichten. In Zukunft soll das künstliche Fleisch zu den stark subventionierten Tierprodukten in den USA und der EU mehr als nur konkurrenzfähig sein. Es soll diese vielmehr verdrängen und überflüssig machen. Steigt der Fleischbedarf aber weiterhin an, so verschärfen sich die ökologischen Probleme und der Welthunger nur noch mehr.

 

Wird das Ziel der Massenherstellung erreicht, so würden mit etwas tierischer DNA, etwa einem kleinen Stück eines Rindermuskels, Tausende Kilo Fleisch erzeugt und ein heimischer 3D-Drucker könnte ein Filet kreieren. Die Reproduktion von Fleischwaren, etwa von Wurst, Nuggets oder Burgern, ist dabei relativ einfach.

 

Schwierigkeiten macht der Forschung noch der Nachbau von Fleisch in seiner Originalkonsistenz, etwa eines Steaks. Dieses besteht aus Muskelfleisch mit langen feinen Äderchen und muss dreidimensional, am besten an einem essbaren Gerüst wachsen. So etwas zu kreieren ist eine größere Aufgabe, als der Nachbau kleiner Zellbällchen wie bei Nuggets.

 

Am Ende wäre das blutlose Fleisch aus dem Labor auch unbedenklicher zu verzehren als vieles, was heute an tierischen Produkten in den Regalen und Auslagen angeboten wird, denn es werden weder Antibiotika noch sonstige Futterzusätze verwendet.

 

Hackfleisch aus einem Bioreaktor würde nur aus Hackfleisch, nicht aus sonstigen tierischen Abfallprodukten bestehen und die hygienischen Bedingungen wären bei der Herstellung im Labor wesentlich strenger, als es bei der Massentierhaltung je möglich sein wird.

 

Und letztlich handelt es sich beim Laborfleisch nicht wirklich um ein Kunstprodukt, sondern vielmehr um echtes Fleisch. Geschieht bei der Reproduktion doch nichts, was nicht auch beim lebenden Tier passiert.

 

Wem es aber künftig vor Fleisch aus dem Glas mehr grauen sollte, als vor Fleisch aus dem Schlachthof, der könnte in Zukunft des Öfteren an Pythagoras denken: »Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt und beim Brüllen der Angst taub bleibt, wer kaltblütig das schreiende Böcklein abzuschlachten vermag und den Vogel verspeist, dem er selber das Futter gereicht hat – wie weit ist ein solcher noch vom Verbrechen entfernt?«

 

 

Mein Beitrag erschien bei RT Deutsch.

 

SUPPORT MY COURSE