Münchner Freiheit – Teil I: Gesinnungsprüfung

Wie Israel- und Kapitalismuskritiker an der Ausübung ihrer Grundrechte behindert werden – Beispiele »falscher« Ansichten aus der bayrischen Landeshauptstadt. Teil 1 von 3

 

In Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht im zweiten Satz, dass jeder Mensch das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Land hat. Artikel 23 betont das Recht auf freie Berufswahl. Dass dem nicht immer so ist, durfte kürzlich etwa Kerem Schamberger in München aufgrund seiner »linken Gesinnung« feststellen. Der 30-jährige bezeichnet sich als Kommunist, obwohl dieser Begriff »sehr dehnbar« ist, wie er schreibt. Kommunist sein bedeutet für ihn »auch kritisch gegenüber jeglichen dogmatischen Verkrustungen, insbesondere in den eigenen Strukturen, aufzutreten.«

 

Schamberger ist Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), engagiert sich unter anderem in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, beides Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, und arbeitet seit dem 1. Januar 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU). Eigentlich hätte er die Forschungsstelle schon am 1. Oktober antreten sollen, aber der Verfassungsschutz prüfte seinen Fall monatelang, um dann, nach einem halben Jahr, zu dem Ergebnis zu kommen, dass Schambergers Eintreten für die marxistisch-leninistische Lehre und die Selbstbezeichnung als Kommunist nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland zu vereinbaren seien.

 

Dass Schamberger die Stelle nun doch noch antreten konnte, hat der angehende Doktorand dem Rückgrat der Verantwortlichen in der LMU zu verdanken, die sich über das Ergebnis des Verfassungsschutzes letztlich hinwegsetzten. Man kenne Kerem, seit er Student ist. Er sei auf keinen Fall ein Verfassungsfeind, wie eine weitere Befragung Schambergers gezeigt habe, so Professor Michael Meyen. Für Schamberger, der sich juristischen Beistand von der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin holte und Solidarität verschiedenster politischer und gesellschaftlicher Spektren erhielt, ist es ein mutiger Schritt der Universität, »sich über die Empfehlung einer sogenannten Sicherheitsbehörde hinwegzusetzen.«

 

Es entspreche nicht unserem Grundgesetz, die »unselige Politik der Berufsverbote wieder zu beleben«, und es sei »sehr bedauerlich, dass hier in Bayern überhaupt noch Schritte in Richtung Berufsverbote gegangen werden«, so Schamberger. Wissenschaftler würden fast nur vom Staat angestellt. Die Gesinnungsprüfung komme somit einem De-facto-Berufsverbot gleich. Wer im öffentlichen Dienst arbeiten möchte, muss Fragen zur »Verfassungstreue« beantworten und Mitgliedschaften in sogenannten extremistischen Organisationen angeben. Von Scharmberger wurden Videos und Fotos seiner Teilnahme legaler Demonstrationen angefertigt, um ihn einer vermeintlich verfassungsfeindlichen Gesinnung zu überführen. Für ihn ist die sogenannte Verfassungstreueprüfung lediglich ein »Mittel, um Leute zu disziplinieren«.

 

Im Widerspruch zum demokratischen Auftrag des Grundgesetzes?

Gegen staatliche Gesinnungsschnüffelei kamen am 1. Dezember in München Gewerkschaften, Parteien und außerparlamentarischen Gruppen im »Bündnis gegen Gesinnungsschnüffelei« zusammen. Das Bündnis kritisiert die Praxis des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die Beschäftigten und Anwärter auf eine Stelle im öffentlichen Dienst auf Grundlage einer »Extremismusliste« kollektiv zum Ausfüllen eines »sogenannten Fragebogens zur Prüfung des Verfassungstreue« zu nötigen. Der bayerische Landtag und das Landesamt für Verfassungsschutz werden aufgefordert, »diese Praxis sofort einzustellen«, wie Bündnissprecher Simon Schaupp mitteilt. Denn Schamberger ist kein Einzelfall. Im Jahr 2016 wurden bereits bis August »mehr als 530 Bewerber für den öffentlichen Dienst einer Gesinnungsprüfung durch den ‚Verfassungsschutz‘ unterzogen«, so Schaupp. Zu wie vielen Berufsverboten dies geführt hat, sei aber nicht bekannt.

 

In einer ersten Pressemitteilung des Bündnisses heißt es, dass sich die Politik der Berufsverbote, in deren Tradition auch die »Extremismusliste« stehe, »gegen gesellschaftliche Alternativen zum herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem« richte. So sollen oppositionelle Demokraten zu »bayerischen Staatsfeinden vorverurteilt« werden, was zu Einschüchterung und Verunsicherung führe. »Gemäß dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz und europäischem Recht gilt es jegliche Form von unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung, auch aufgrund der Weltanschauung, zu unterlassen«, so Schaupp.

 

Die Gesinnungsprüfung bei Einstellungen für den öffentlichen Dienst geht auf den sogenannten Radikalenerlass zurück, mit dem Linke aus staatlichen Institutionen ferngehalten werden sollten, und der seit 1991 in Bayern offiziell abgeschafft ist. Eigentlich. Am 28. Januar 1972 verabschiedete die Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt den Radikalenerlass zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde. Rein formell richtete sich dieser gegen »Links- und Rechtsextremisten«, in der Praxis waren aber vor allem Angehörige des linken Spektrums betroffen. Der Erlass ging einher mit Bespitzelungen, Gesinnungs-Anhörungen und Gerichtsprozessen, und gipfelte für Tausende von Menschen in Berufsverboten mit anschließender Arbeitslosigkeit.

 

Mit einer »Regelanfrage« wurden im Rahmen des Erlasses bundesweit rund 3,5 Millionen Bewerber auf ihre politische »Zuverlässigkeit« durchleuchtet. Die »Erkenntnisse« kamen vom Verfassungsschutz, welcher rund 35.000 Dossiers über politisch Andersdenkende erstellte, was zu 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen und 265 Entlassungen führte. Den Betroffenen wurden, etwa in stundenlangen Befragungen, legale politische Aktivitäten vorgeworfen, »systemkritische und unliebsame Organisationen und Personen wurden an den Rand der Legalität gedrängt, die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit wurde behindert, bedroht und bestraft« und das politische Klima vergiftet, wie es in einem Antrag der niedersächsischen Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 14. Dezember zur Aufarbeitung und Rehabilitierung von politisch motivierten Berufsverboten heißt.

 

Das Bundesverfassungsgericht konnte bei dieser Praxis allerdings keinen Verfassungsverstoß feststellen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Europäische Gerichtshof verurteilten die Praxis der Berufsverbote dagegen als völker- und menschenrechtswidrig. Willy Brandt bezeichnete die entsprechenden Erlasse später als Irrtum.

 

Sind wir nicht alle irgendwie extrem?

Aber was ist schon extrem oder radikal? Menschenfeindliche Ideologien? Verstöße gegen die Menschenrechte? Bezeichnet man wie der Duden alles, was »bis an die äußerste Grenze« geht, als extrem, oder jeden, der eine »extreme politische, ideologische, weltanschauliche Richtung« vertritt und »gegen die bestehende Ordnung« kämpft, als radikal, so ist diese Frage lediglich eine Frage in Bezug zur Herrschaft – dem vorherrschenden Neoliberalismus gilt eben alles, was die kapitalistische Ordnung überwinden möchte, als extrem und radikal.

 

 

Mein Beitrag erschien bei Hintergrund.

 

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