Bereits im Juni wurde Bayern zu wirksamem Emissionsschutz verurteilt. Doch getan hat der Freistaat seitdem nichts.
Das Umweltbundesamt ermittelt die Luftqualität in den Bundesländern täglich. In München lag der Mittelwert für Stickstoffdioxid an der Messstation Landshuter Allee am Sonnabend wieder deutlich, um mehr als das Doppelte, über dem erlaubten Jahresmittelwert, der zulässige Grenzwert, der insgesamt nur 18mal im Jahr erreicht werden darf, wird gegenwärtig nahezu an jedem Wochentag überschritten. Bereits Ende Juni veranlassten die seit Jahren zu hohen Werte das bayerische Verwaltungsgericht, den Freistaat zu wirksameren Maßnahmen der Luftreinhaltung zu verpflichten. Geklagt hatten die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bereits im Jahr 2012. Was Bayern nun konkret unternehmen muss, wurde allerdings nicht festgelegt.
In München ist der Individualverkehr, allen voran Dieselfahrzeuge, Hauptverursacher für die Grenzwertüberschreitung. Die Mehrheit des Stadtrats möchte das Urteil allerdings nicht akzeptieren und hat sich Ende Juli für ein Berufungsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof, zusammen mit dem Freistaat, entschieden. Die Staatsregierung befürchtet, dass Gerichte bald Verbote für Dieselfahrzeuge erlassen könnten. In diesem Fall sollten Ausnahmeregelungen für gewerbliche Zulieferer oder Anwohner gelten. Im Gespräch sind auch die Einführung einer sogenannten blauen Plakette für Autos mit geringem Stickoxidausstoß oder eine Citymaut.
Dem kann der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch durchaus etwas abgewinnen: Städte im Ausland hätten gezeigt, dass das öffentliche Leben nicht zusammenbricht, wenn bestimmte Fahrzeuge nicht mehr in die Innenstadt dürfen. »Um dies noch einmal deutlich zu machen: Wir überschreiten konstant die Belastungsgrenzen unserer Umwelt und unserer Gesundheit bei weitem. Als Gesellschaft sind wir verpflichtet zu handeln«, so Resch.
Direkt nach der Urteilsverkündung prophezeite er, dass er in absehbarer Zeit fest von Fahrverboten in deutschen Großstädten ausgehe. Realistisch sei ein Zeitraum ab 2017. Ein entsprechendes Grundsatzurteil, bezogen auf Großbritannien, hat der Europäische Gerichtshof bereits 2014 gefällt. Spätestens für das Jahr 2018 erwarten Experten auch einen Richterspruch für die BRD.
Resch betonte, dass Käufer von Neuwagen nach dem Münchner Urteil keine Dieselfahrzeuge erwerben sollten. Auch den Euro-6-Diesel-Pkw drohten demnach Fahrverbote. Die DUH fordert, auch Busse und Bahnen im Nahverkehr in Bayern nachzurüsten.
Doch die Umsetzung der verschiedenen Vorschläge stockt: Weder die Stadt noch der Freistaat sind befugt, die Blaue Plakette oder eine Citymaut einzuführen. Die Möglichkeit, Regelungen zur Einfahrtsbegrenzung von Fahrzeugen mit hohen Stickoxidemissionen in Städten zu erlassen, muss von der Bundesregierung geschaffen werden. Die Ausgestaltung wäre dann Sache der Stadt. Der blauen Plakette hat der Münchner Stadtrat bereits zugestimmt.
Der Bund müsse Rechtsgrundlagen schaffen, damit die Städte handeln können, so das kommunale Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU). Da viele Dieselfahrzeuge im realen Fahrbetrieb zu schlechte Emissionswerte vorweisen, sei die blaue Plakette ein wirkungsvolles Mittel und in der gültigen sechsten Fortschreibung des Luftreinhalteplans für München vorgesehen. »Bei der Citymaut fehlt meines Erachtens nicht nur die Steuerungswirkung – jeder, der die Maut bezahlt, kann weiterhin einfahren, egal wie emissionsstark sein Auto ist. Außerdem fehlt dieser Maßnahme die Sozialverträglichkeit und vor allem die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das zu erreichende Ziel der Luftreinhaltung, denn am Ende fahren dann nur noch die, die es sich leisten können«, sagte Münchens Umweltreferentin Stephanie Jacobs auf Nachfrage.
Kurzfristig hat das Urteil aber ohnehin keine Bedeutung, da die Stadt gegen die Stimmen von Grünen, ÖDP und Linkspartei in die nächste Instanz geht, was wiederum Zeit in Anspruch nimmt. Selbst wenn der Bund in diesem Jahr für die Einführung der blauen Plakette beschließt, wird es noch dauern, bis sie umgesetzt ist. Eine sofortige Lösung wird auch von den Grünen – sie denken an eine Übergangsfrist von zwei Jahren – gar nicht gefordert.
Für DUH-Geschäftsführer Resch steht fest, »dass wir von unseren überholten Mobilitätsmustern wegkommen müssen – aus Gründen des Gesundheits- und des Klimaschutzes«. Diese Entwicklung sei in vielen Städten verschleppt worden, weshalb der Individualverkehr reduziert »und Fahrverbote für alle schmutzigen Verbrennungsmotoren« verhängt werden sollten. Darüber, dass die Automobilindustrie auch wegen des Abgasskandals an den Kosten der Umrüstung zu beteiligen und in die Pflicht zu nehmen ist, herrscht, ob in der Politik oder bei Umweltverbänden, weitgehend Übereinstimmung.