München ist Deutschlands teuerstes Pflaster. Zuwanderung, Renditewahn und Spekulation lassen die Immobilienpreise in der Stadt immer weiter steigen. Das Wohnen ist für untere und mittlere Einkommensgruppen in der Isarmetropole kaum noch zu bezahlen. Eine Idee zur Selbsthilfe kommt aus dem 19. Jahrhundert und feiert ein heimliches Comeback.
Die Entwicklung auf dem Münchner Immobilienmarkt kennt seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Dieser Trend nährt die Gefahr einer Immobilienblase. Einerseits. Andererseits bereitet er vielen Münchnern Probleme. Denn: wer in München eine Wohnung sucht muss sich, außer auf hohe Nebenkosten, auch auf »Rekordmieten« gefasst machen. Da der Mietpreis von Lage, Größe, Zustand, Baujahr sowie Ausstattung der Wohnung abhängt, liegt die monatliche Spanne pro Quadratmeter für Münchner Neubauten mittlerweile zwischen 10 und 30 Euro und für Altbauten zwischen 8 und 28 Euro. Im Schnitt kostet die Miete hier rund 14 Euro pro Quadratmeter, was München – genauso wie bei den Kaufpreisen für Immobilien – zur teuersten Stadt Deutschlands macht.
Die Landeshauptstadt führt aber nicht nur beim teuren Wohnraum. Auch in der Beliebtheit liegt die Hauptstadt der blauen und weißen Rauten vorne. Der Zuzug in Stadt und Umland hält nach wie vor an. Die Folge: Wohnungsmangel und unbezahlbarer Wohnraum, zumindest für »Normalverdiener« und die wachsende Zahl von Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen.
Aber nicht nur München, auch die Baugenossenschaften der Stadt haben starken Zulauf. Das Problem von »unbezahlbarem« Wohnraum ist dabei mindestens so alt wie die Idee der Genossenschaften selbst. Das Modell solidarisch selbstverwalteter Initiativen feiert im Sog des Münchner Immobilienwahns ein langsames und leises Comeback. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Neugründungen. In Deutschland werden bereits über 2 Millionen Wohnungen von rund 2.000 Genossenschaften verwaltet.
Die lokale Wohnungsnot, das Verlangen nach Selbstbestimmung und demokratischen Strukturen bringt auch der 1993 gegründeten Wogeno München eG einen deutlichen Zuwachs an Mitgliedern. Die Baugenossenschaft hat seit Juni 2013 bereits 2.300 Mitglieder. Rund 700 davon sind »wohnende« Mitglieder, verteilt auf 15 Objekte mit zusammen 296 Wohnungen. »Viele Neumitglieder erwarten kurz- oder mittelfristig Wohnungsangebote«, müssen aber mit langen Wartezeiten rechen. Es gibt »aktuell vier Neubauprojekte mit insgesamt 220 Wohnungen in Planung bzw. in Bau. Die Zahl der Neumitglieder übersteigt dieses Angebot jedoch deutlich«, weshalb mittelfristig noch weitere Projekte geplant werden. Die Wogeno ist eine Kapitalgesellschaft auf »Selbsthilfebasis«, Wirtschaftsunternehmen, Sozial- und Kulturgemeinschaft in einem. Hier steht, wie bei Genossenschaften üblich, nicht die Kapitalmehrung, sondern der Nutzen für die Mitglieder, die Sicherung günstiger Mieten im Vordergrund. Die Wogeno, dessen Vorstände Peter Schmidt, Thomas Kremer und Christian Stupka sind, ist auf »selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen« ausgerichtet. Die Gründungsmitglieder wollten »in einer Stadt wie München, die von zunehmendem Existenzkampf auf dem wohn- und sozialpolitischen Feld geprägt ist wieder neue Zeichen setzen.«
Und so wird man Mitglied:
In einer Baugenossenschaft erhalten die Mitglieder lebenslanges Wohnrecht zu günstigen Kosten. Die Häuser werden von den Bewohnern selbstverwaltet und man ist Mieter im eigenen Haus. Die Wohnhäuser der Genossenschaften sind keine Spekulationsobjekte und lassen sich vererben. Um Risiken zu minimieren werden Entscheidungen gemeinsam getroffen, jedes Mitglied hat, unabhängig vom eingebrachten Kapital eine Stimme. Und dann gibt es die Solidargemeinschaft, Leistungen wie Car-Sharing, Lesungen, Bildungsreisen, Kinderbetreuung und ähnliches werden von den Mitgliedern organisiert. Die Kosten lassen sich auch deshalb gering halten, da die Bewohner Arbeiten wie das Schneeschippen oder die Gartenpflege selber übernehmen. Um Mitglied in einer Wohngenossenschaft zu werden muss man Pflichtanteile – ohne Zinsanspruch – kaufen. Bei der Wogeno München benötigt man drei Pflichtanteile für insgesamt 1.500 Euro. Darüberhinaus hat man die Möglichkeit weitere Anteile, mit einer maximalen Verzinsung von 4 Prozent des Wertes zu erwerben. Kündigt man die Mitgliedschaft, erhält man seine Anteile zurück. Die Vergaberichtlinien für eine Wohnung richten sich bei der Wogeno nach dem akuten Wohnungsbedarf, der Mitgliedsdauer, der sozialen Verwurzelung und Zusammensetzung der Hausgemeinschaft sowie der Nähe zu Schule und Arbeit. »Für Menschen in Wogeno-Häusern beginnt das zu Hause nicht erst an der Wohnungstür, sondern bereits am Hoftor, in der Straße, im Viertel«, heißt es auf der Seite der Genossenschaft.
Private solidarische Initiativen der Selbstverwaltung könnten zukünftig ein gesellschaftliches Wohn- und Wirtschaftsmodell gegen die weiter wachsende Kluft zwischen arm und reich sein. Die Baugenossenschaften sind jedenfalls eine Lösung für Mieter sich dem Preiswahn des Münchner Immobilienmarkts zu entziehen und bieten die Gewissheit, dass das Mieter-raus-Miete-rauf Prinzip in Gestalt eines Spekulanten eines Tages nicht auch an ihre Türe klopft.
Mein Beitrag erschien bei Radio Lora.
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