Am 19. Oktober 2016 traf sich Angela Merkel mit dem französischen Präsidenten Hollande, dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko und dem russischen Präsidenten Putin, »um die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen seit dem letzten Treffen zu bewerten und über weitere Schritte zu beraten.« Aus diesem Anlass strahlte Deutschlandradio einen Beitrag von Markus Pindur in der Kindersendung Kakadu aus, der »die Rolle Russlands im Zusammenhang mit erwähnten Treffen […] zum Gegenstand« haben sollte.
Von Minute 0:50 bis 1:55 heißt es darin:
»Der russische Präsident Putin führt derzeit zwei Kriege. Einen in der Ukraine und einen in Syrien. Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande wollen Putin dazu bewegen mit beiden Kriegen aufzuhören. Das wird wahrscheinlich nicht funktionieren, weil Putin sich nicht an internationale Regeln hält. Er ist der Ansicht, dass er den russischen Einfluss in der Welt vergrößern muss und das auch mit Krieg. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande haben mehrfach gesagt, dass Putin in Syrien schwere Menschenrechtsverletzungen begeht. Die russische Luftwaffe bombardiert Krankenhäuser und Hilfskonvois der Vereinten Nationen. Deshalb fliehen viele Syrer mit ihren Familien nach Deutschland. Auch in der Ukraine kämpfen trotz eines Abkommens russische Soldaten. Wie man Putin davon abhalten kann, ist aber nicht klar. Man könnte ihn unter Druck setzen, in dem man Russland bestimmte Waren nicht mehr verkauft. Das nennt man Sanktionen. Aber dafür müssten sich alle Europäer einig sein und das sind sie zur Zeit nicht.«
Auf diesen Beitrag folgte eine Programmbeschwerde der Ständigen Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien, da Korrespondent Markus Pindur die »besondere Leistung« zustande bringt, »die kleinen Hörer in jedem einzelnen Satz seines Vortrages mit Lügen, Verdrehungen und unvollständigen Information zu konfrontieren sowie Ursachen und Wirkung der angesprochenen Konflikte völlig auf den Kopf zu stellen.« In der Beschwerde wird um eine wahrheitsgemäße und sachliche Korrektur des Beitrags im Kakadu gebeten. Einem öffentlich-rechtlichen Sender sollte es schließlich ein besonderes Anliegen sein, »Kindersendungen so zu gestalten, dass sie sowohl ethisch-moralischen Standards genügen als auch Faktenchecks standhalten« und nicht an der »Aufrechterhaltung von Narrativen und Feindbildern mitzuwirken.«
Auf die Programmbeschwerde folgte eine vom Intendanten unterzeichnete Antwort, die eine »offensichtlich standardisierte« Antwort mit mangelhaften Argumentationsversuchen ist, so die Ständige Publikumskonferenz über die »Propaganda im Kinderprogramm des DLF«. Und das trifft zu, da mir auf meine Presseanfrage zum selben Beitrag die nahezu gleiche Antwort zuging.
Meine Presseanfrage zum Beitrag von Markus Pindur:
Sehr geehrte Redaktion,
in Bezug auf Ihre Sendung Kakadu vom 19.10.2016, Minute 0:50 bis 1:55, bitte ich bis Freitag, den 04.11.2016, um Beantwortung folgender Fragen:
- Sie behaupten in Ihrer Sendung Kakadu vom 19.10.2016, dass »Putin sich nicht an internationale Regeln hält«. Welche internationalen Regeln hält Putin nicht ein und welche Quellen können Sie nennen, um den Bruch dieser Regeln durch Russland zu belegen?
- Sie behaupten: »Er [Putin] ist der Ansicht, dass er den russischen Einfluss in der Welt vergrößern muss und das auch mit Krieg.« Können Sie Beweise für die Behauptung, die Ansichten Putins zu kennen, vorlegen? Und wie bewertet Ihre Redaktion, in Bezug auf den Ausbau globaler Macht, wie Russland unterstellt, das Vorgehen der USA, um weltweit noch weiter an Einfluss, beispielsweise in Südamerika, Nordafrika, Osteuropa, dem Nahen und Mittleren Osten oder im Südchinesischen Meer zu gewinnen oder diesen zu sichern? Gab es diesbezüglich ebenfalls Beiträge bei Kakadu? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht?
- Weiter behaupten Sie: »Die russische Luftwaffe bombardiert Krankenhäuser und Hilfskonvois der Vereinten Nationen. Deshalb fliehen viele Syrer mit ihren Familien nach Deutschland.« Können Sie Quellen nennen, um die Bombardierung von Krankenhäusern und Hilfskonvois der Vereinten Nationen durch Russland in Syrien zu belegen? Welche Beweise haben Sie für die Behauptung, dass viele Syrer mit ihren Familien aufgrund dieser beiden, angeblich von Russland verursachten, Vorfälle und nicht wegen allgemeiner Kriegsumstände, der Angriffe dschihadistischer Terroristen oder aufgrund westlicher Sanktionen gegen Syrien nach Deutschland fliehen? Und fanden die Krankenhausbombardements der USA, wie in Kunduz, oder durch deren Verbündete, wie im Jemen, ebenfalls Erwähnung im Kakadu? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht?
- Wieso erwähnen Sie, wie es als öffentlich-rechtlicher Sender im Sinne einer umfassenden Berichterstattung gem. § 11 RStV Ihr Auftrag wäre, nicht, dass Russland Dschihadisten in Syrien bekämpft, und klären über diese Gruppen und Unterstützer auf?
- Können Sie für die Behauptung, in der Ukraine würden russische Soldaten kämpfen, Beweise vorbringen und sind nach dem Kenntnisstand Ihrer Redaktion auch Soldaten aus NATO-Ländern in der Ukraine oder in Syrien im Einsatz? Wenn ja, warum kein Wort darüber?
- Sie erwähnen die Option von Sanktionen gegenüber Russland. Wie steht Ihre Redaktion zu Sanktionen gegenüber den USA, beispielsweise für den unter Lügen geführten Angriffskrieg gegen den Irak mit über einer Million getöteter Menschen, so eine Schätzung der Organisation »Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges«?
- Hat Ihre Redaktion über die weiteren Gäste des Treffens, François Hollande und Petro Poroschenko, einen vergleichbaren Redebeitrag, etwa wegen der Rolle Frankreichs im völkerrechtswidrigen Krieg in Libyen oder der Rolle faschistischer Gruppen und Parteien in der Ukraine gesendet? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht?
Vorab besten Dank.
Beste Grüße
Flo Osrainik,
freier Journalist
Die Antwort:
Sehr geehrter Herr Osrainik,
vielen Dank für Ihre Mail an die Redaktion der Sendung »Kakadu«.
Die »Kakadu«-Redaktion bereitet in ihren Nachrichten und Beiträgen Themen tagesaktuell für ihr junges Zielpublikum auf. Deshalb finden sich dort auch regelmäßig Meldungen zu innen- und außenpolitisch relevanten Fragen; selbstverständlich auch zu den USA. Der von Ihnen angesprochene Beitrag von Markus Pindur hatte aber ausdrücklich die Rolle Russlands im Zusammenhang mit dem erwähnten Treffen der Spitzenpolitiker in Berlin zum Gegenstand. Der Beitrag befasste sich im konkreten Fall nicht mit der außenpolitischen Rolle der USA, die selbstverständlich regelmäßig auch in den »Kakadu«-Nachrichten problematisiert wird.
In dem von Ihnen angesprochenen Text unseres Korrespondenten im Hauptstadtstudio lässt sich keine verzerrende Berichterstattung erkennen. Russland führt derzeit zwei Kriege, zumindest indirekt:
einen in der Ukraine, wo zahlreiche Belege für eine Beteiligung Russlands vorliegen, auch an Kriegsverbrechen wie dem Abschuss der Verkehrsmaschine MH 17. Zum anderen steht Russland an der Seite des Diktators Assad in Syrien im Krieg. Die direkte Unterstützung der Führung in Damaskus hat die russische Regierung nie bestritten. Die beteiligten Konfliktparteien in Syrien sind zahlreich und ihre Unterstützerkreise zuweilen schwer auszumachen, auch das wird regelmäßig problematisiert. Sehr vielen der Konfliktparteien, die für oder gegen die Regierung Assad kämpfen, werden mittlerweile Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Es liegen unter anderem zahlreiche Belege vor, wonach nicht nur vom syrischen Regime, sondern auch von Russland schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat das Vorgehen als Kriegsverbrechen bezeichnet. Ohne Russland könnten beide Kriege so nicht geführt werden und hätten nicht das Ausmaß an Verlusten in der Zivilbevölkerung erreicht.
Kinder sollten sicher nicht mit jeder grausamen Realität eines Krieges konfrontiert werden. Aber auch sie haben ein Recht, über grundlegende politische Zusammenhänge informiert zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Sabine Kuntz
Unternehmenssprecherin Deutschlandradio
Meine Nachfrage:
Sehr geehrte Frau Kuntz,
vorab besten Dank für eine Antwort.
Leider haben Sie nicht eine meiner Fragen beantwortet, mir Quellen für Ihre Behauptungen, Links oder die Titel von Sendungen zu angefragten Inhalten genannt. Ich bitte deshalb nochmals um zeitnahe Beantwortung meiner Fragen. Ihr Korrespondent wird für den genannten Beitrag sicherlich eine gewisse Recherche vorgenommen haben. Die Antworten zu meinen Fragen sollten also vorliegen.
In Ihrem Beitrag, der »ausdrücklich die Rolle Russlands« behandeln soll, heißt es: »Putin führt derzeit zwei Kriege«. Sie suggerieren, dass Putin [Russland] für diese Kriege verantwortlich ist. In Ihrem Beitrag war nicht zu hören, dass Russland »zumindest indirekt« daran beteiligt ist, wie Sie nun schreiben. Der Krieg in Syrien begann bereist im Jahr 2011. Von ausländischer Unterstützung und Infiltrierung bewaffneter Kräfte, um einen Bürgerkrieg zu provozieren, abgesehen, ist Russland erst im Jahr 2015 und in Übereinstimmung mit der legitimen syrischen Regierung militärisch in Syrien aktiv. Wenn es in Ihrem Beitrag um die Rolle Russlands in diesem Krieg geht, so gehören diese Umstände erwähnt.
Sie schreiben: »Zum anderen steht Russland an der Seite des Diktators Assad in Syrien im Krieg«. Ja, so wie der Westen an der Seite der saudischen Diktatur im Angriffskrieg gegen den Jemen steht. Assad ist, wenn auch ein säkularer, wohl ein Diktator. Diese Tatsache ist für Merkel, Hollande oder die USA, ja per se kein Problem, wie man an den Partnerschaften mit den zahlreichen fundamental religiösen Diktaturen der arabischen Halbinsel, die zudem Monarchien sind und die Opposition gewaltsam niederschlagen, sieht. Assad war ja auch vor dem sogenannten arabischen Frühling kein Problem, wären da nicht diverse Projekte für Pipelines. Den vom Westen »zumindest indirekt« unterstützen Krieg im Jemen behandeln Sie dann hoffentlich in einer Ihrer nächsten Sendungen, wenn es vielleicht »ausdrücklich um die Rolle« Saudi-Arabiens, der USA oder Großbritanniens im Jemen oder noch besser, im gesamten Nahen Osten geht.
Ebenso zum Krieg in der Ukraine. Auch hier gehört, wenn es um die Rolle Russlands gehen soll, erwähnt, wie dieser zustande kam. Kein Wort über die NATO-Osterweiterung, den von Victoria »Fuck the EU« Nuland angedeuteten, 5 Milliarden US-Dollar teuren Putsch gegen einen gewählten und gewiss auch korrupten Präsidenten Janukowytsch. Kein Wort über die Rolle der Scharfschützen vom Maidan, ausländische Berater oder Faschisten in Kiew, über Odessa oder der russischen Sicht des Abschusses von MH 17. Wenigstens verwechseln Sie, in Anlehnung an Gabriele Krone-Schmalz oder den Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel, nicht auch noch Sezession und Annexion.
Sie schreiben: »Ohne Russland könnten beide Kriege so nicht geführt werden.« Was sie verschweigen ist, dass beide Kriege ohne westliche Einmischungen wohl nicht stattfinden würden. Und sicher, beide Kriege würden ohne Russland anders geführt.
Sie sprechen das »Ausmaß an Verlusten in der Zivilbevölkerung« in Syrien an. Mich würde besonders der Standpunkt der Kakadu-Redaktion zu über einer Million getöteter Iraker durch die völkerrechtswidrige Invasion der USA, Großbritanniens und dessen Verbündeter interessieren. Bringt Ihre Redaktion hier auch Sanktionen ins Gespräch? Vielleicht in einer Sendung über die Entstehung des IS, den es ohne diesen Angriffskrieg nicht gäbe?
Nein, »Kinder sollten sicher nicht mit jeder grausamen Realität eines Krieges konfrontiert werden.« Ganz besonders sollten Kinder, und zwar alle dieser Erde, aber niemals in irgendeiner Weise Opfer von Kriegen werden. Sie fordern Aufklärung über »grundlegende politische Zusammenhänge«. Ihre Forderung wurde in genanntem Beitrag über Russland und gem. § 11 (2) RStV – »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen« – missachtet. Wenn grundlegende politische Zusammenhänge, »wenn die Wahrheit durch das Schweigen ersetzt wird, wird das Schweigen zur Lüge«, so der russische Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko.
Ihr Beitrag ist »keine verzerrende Berichterstattung«, man könnte auch von Agitation sprechen. Ich denke, Sie wissen das und bitte nochmals um Antworten, Quellen und Sendungshinweise, falls vorliegend und es Ihnen die Umstände erlauben bis spätestens 15.11.2016.
Vorab besten Dank.
Mit besten Grüßen,
Flo Osrainik,
freier Journalist
Mein Beitrag erschien bei der Publikumskonferenz.
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Quellen:
- http://www.csmonitor.com/World/terroris … opposition
- http://www.theamericanconservative.com/ … -vs-syria/
- https://www.welt.de/politik/ausland/art … stand.html
- http://www.heise.de/tp/news/Naechster-S … 23510.html
- http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d … 14314.html
- http://www.ag-friedensforschung.de/regi … sein3.html
- https://www.freitag.de/autoren/hans-spr … atsstreich
- http://juergentodenhoefer.de/us-geheimd … rrorstaat/
- https://www.freitag.de/autoren/dklose/d … -in-syrien
- https://www.heise.de/tp/features/Syrien … 91308.html
- https://en.wikipedia.org/wiki/Timber_Sycamore
- https://en.wikipedia.org/wiki/CIA_activities_in_Syria
- https://en.wikipedia.org/wiki/Project_f … ge_in_Iraq