»Zuerst holten sie sich Assange«

Julien Assange ist seit über vier Jahren in der Botschaft Ecuadors in London gefangen. Grund für ein weltweites Event, um freies Geleit für Assange und mehr Schutz für Whistleblower zu fordern.

 

Unter dem Titel »First they came for Assange« fanden am 19. Juni 2016 in mehreren Städten – darunter Athen, Belgrad, Berlin, Brüssel, Madrid, Mailand oder Paris und bis zum 25. Juni 2016 in weiteren Städten, wie Buenos Aires, New York oder Quito – Veranstaltungen für den Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, statt. In Berlin nahmen rund 600 Menschen an dem Event in der Berliner Volksbühne teil. Assange wurde über Skype zugeschaltet. Mit den Veranstaltungen soll auch auf die Situation weiterer Whistleblower, wie Chelsea Manning und Edward Snowden, ihrer Rolle in der Gesellschaft, investigativem Journalismus und Transparenz, aufmerksam gemacht werden.

 

Wächter und Täter

»Wir leben in einer kritischen Zeit in der jeder, der politischer und finanzieller Macht entgegentritt, schon bald zum Ziel werden könnte«, so die Veranstalter. Zu den namhaften Unterstützern – Journalisten, Künstlern, Philosophen, Politikern oder Aktivisten – der Kampagne zählen unter anderem Yanis Varoufakis, Michael Moore, Vivienne Westwood, Noam Chomsky, Slavoj Žižek, Laibach, Bernard Stiegler, Amy Goodman, Jeremy Scahill, Ai Wei Wei oder Hans-Christian Ströbele. Die Initiatoren der Kampagne halten die Verfolgung von Assange für illegal und unmoralisch. Sie rufen weltweit dazu auf, sich gegen dieses Unrecht zu erheben.

 

Gegen den Aktivisten, Journalisten und Programmierer Assange wurden im Herbst 2010 in Schweden Vergewaltigungsvorwürfe erhoben. Assange floh, nachdem alle Rechtsmittel gegen eine Auslieferung durch Großbritannien ausgeschöpft waren, am 19. Juni 2012 freiwillig in die Botschaft Ecuadors in London, um Asyl zu erhalten, was ihm im August 2012 von dem südamerikanischen Staat gewährt wurde. Dort sitzt er bis heute fest. Assange hält die gegen ihn erhobenen Vorwürfe für ein Komplott, um ihn an die USA ausliefern zu können. In den Vereinigten Staaten würde ihn ein unfairer Strafprozess, so die Befürchtung, erwarten. Mehrere Politiker und Journalisten in den USA haben – ohne dafür belangt worden zu sein – öffentlich seine Ermordung gefordert.

 

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks, zu deren Führungsfiguren Assange zählt, hat mehrmals geheime US-Dokumente über den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak oder den Krieg in Afghanistan veröffentlicht. Sarah Harrison von WikiLeaks verspricht noch »viele gute Veröffentlichungen für dieses Jahr«. Assange lebe unter sehr schweren Bedingungen. »Im Grunde lebt er in einem einzigen Raum in einer sehr kleinen Botschaft im Zentrum Londons. Er kann nicht nach draußen, er war seit vier Jahren nicht mehr in der Sonne«, so Harrison.

 

Die Superkraft der Beschuldigten

Assange bestätigte seine widrigen Umstände. Doch es hätte auch etwas für sich »eine beschuldigte Person zu sein«. Nicht er hat sich verändert, »du bleibst, wer du bist, aber verfügst jetzt über eine Gabe. Eine Superkraft. Die Superkraft der Beschuldigten. Sie ermöglicht dir, den wahren Charakter der Anderen zu enthüllen«, so Assange. Falsches Lächeln würde verblassen und verborgene Allianzen ans Licht gebracht. Feiglinge zögen sich zurück und Liebe sei nicht nur ein Wort, sondern Tat. »Das ist die Superkraft der Beschuldigten«, so Assange weiter.

 

Für einen weiteren Unterstützer von Assange, den Journalisten Michael Sontheimer, er koordinierte die NSA-Enthüllungen beim Spiegel, sind Whistleblower in Deutschland nicht wirklich geschützt. Für Sontheimer hat das historische Gründe. »Die Befreiung von den Nazis hat zu einer besonderen Beziehung mit den USA geführt. Nun laufen deutsche Regierungen den US-amerikanischen Regierungen feige hinterher«, so Sontheimer, weshalb die deutsche Regierung Edward Snowden nicht einlädt.

 

Hans-Christian Ströbele, Rechtsanwalt und Politiker der Partei Bündnis 90/Die Grünen, fordert zum Schutz der Whistleblower »eine richtige Bewegung in der Öffentlichkeit«, da sie die Informationen nicht zum Eigennutz, sondern für die Gesellschaft publik machen würden. »Und sie tun das, um eine bessere Demokratie, eine transparentere Demokratie zu haben und Missstände abzustellen. Das heißt, wenn sie das für uns tun, ist es auch unsere Pflicht, uns für sie einzusetzen, auch außerhalb des Parlaments«, so Ströbele.

 

»Wie sie sehen, haben wir es mit Mächten zu tun, die sogar die Vereinten Nationen ignorieren« (Sarah Harrison)

Im Februar 2016 hat eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen den Arrest von Assange als illegal bezeichnet und seine Freilassung gefordert. Großbritannien nannte die Entscheidung der UN »fehlerhaft«, sie hätte keinen »rechtlichen Status«. Man sei verpflichtet, Assange an Schweden auszuliefern. Über 500 Menschenrechtsorganisationen und Persönlichkeiten fordern in einem Brief an Großbritannien und Schweden, dass die Entscheidung der UN respektiert und unverzüglich umgesetzt wird. Die Veranstalter der weltweit koordinierten Aktion für Assange wollen, dass der politische Druck erhöht wird. »Wir können uns keine Untätigkeit erlauben. Zuerst holten sie sich Assange, dann holten sie Chelsea Manning, dann holten sie Edward Snowden.«

 

Passiert doch bald was?

Bewegung im Drama um Assange gab es vor wenigen Tagen. Ecuador hat ein förmliches Gesuch schwedischer Behörden erhalten, um Assange in der Botschaft befragen zu dürfen. Der Australier fordert seit Jahren, dass er zu den Vorwürfen in der Botschaft in London Stellung beziehen kann. Ecuador hatte einer Vernehmung in seinen Botschaftsräumen von Beginn an zugestimmt und begrüßt, dass Schweden das Angebot nun endlich annehmen möchte, so Guillaume Long Comon, Außenminister von Ecuador und Unterstützer Assanges.

 

Es ist ungewiss, welche Whistleblower noch gejagt werden. Gewiss ist aber, dass weltweit eine Bewegung heranwächst, die sich der gesellschaftlichen Bedeutung von Whistleblowern bewusst ist.

 

 

Mein Beitrag erschien bei Hintergrund.

 

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