Der Wirtschaftswissenschaftler und zurückgetretene griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis hat der britischen Zeitung New Statesman ein – am 13. Juli 2015 veröffentlichtes – Interview über die Euro-Gruppe gegeben und lässt hinter die Kulissen blicken.
Er zeichnet ein erschreckendes Bild über den Zustand der europäischen Demokratie, sofern man bei diesem Europa-Gebilde überhaupt noch von Demokratie sprechen kann. Die deutsche Übersetzung ist auf der Internetseite der Tageszeitung Neues Deutschland (Titel: »Sie haben uns in die Falle gelockt«) und auf dem Blog The Vinyard Saker nachzulesen. Zusammengefasst und auf den Punkt bringt es RT Deutsch mit dem Artikel »Insider-Enthüllung aus dem Herzen der Euro-Gruppe – Yanis Varoufakis: Unser Parlament wurde wie Müll behandelt«
Politiker wie Varoufakis sind eine Ausnahme, mehr von seinem Schlag nötig, damit Volksvertreter auch wieder als solche bezeichnet werden können. Das Gespräch mit dem griechischen Ex-Finanzminister birgt viel explosives Potenzial. Dass es die Leitmedien durch Ignoranz entschärfen, so wie Enthüllungen über die Scharfschützen auf dem Maidan oder IS-Unterstützung durch die USA, bleibt zu befürchten.
Auszüge aus dem Gespräch:
Harry Lambert: Worauf spielen Sie an?
Yanis Varoufakis: Das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel unter den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie. Das ziemlich deutliche Verständnis auf der anderen Seite, dass wir analytisch übereinstimmen – aber das selbstverständlich niemals etwas herauskommen wird. [Und dann] schauen dir sehr mächtige Personen in die Augen und sagen: »Sie haben recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Sie trotzdem zerquetschen.«
Harry Lambert: Sie haben gesagt, Gläubiger waren gegen Sie »weil ich in der Eurogruppe versuche, ökonomisch zu argumentieren, was dort niemand sonst tut.« Was ist passiert als sie das taten?
Yanis Varoufakis: Es ist nicht so, dass es nicht gut aufgenommen worden wäre – es ist eher so, dass es eine vollständige Verweigerung gab, sich auf ökonomische Argumentationen einzulassen. Unverblümt. Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist – und dann schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genau so gut die schwedische Nationalhymne singen können – Sie hätten dieselbe Antwort bekommen. Und für jemanden, der akademische Debatten gewöhnt ist, ist das erschreckend. Da debattiert die andere Seite immer mit. Aber hier gab es gar keine Beteiligung. Man hat nicht einmal Genervtheit gespürt, es war so, als ob man einfach nichts gesagt hätte.
Harry Lambert: Auf höchster Ebene?
Yanis Varoufakis: Auf höchster Ebene, auf höchster Ebene. Aber dann, in der Eurogruppe, ein paar nette Worte und das war’s, zurück hinter die Barrikaden der offiziellen Version. Aber Wolfgang Schäuble war die ganze Zeit konsistent. Seine Sicht lautete: »Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der Vorgängerregierung akzeptiert und wir können unmöglich erlauben, dass eine Wahl etwas verändert. Schließlich haben wir andauernd Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn sich jedes Mal nach einer Wahl etwas verändern würde, würden die Verträge zwischen uns bedeutungslos werden.« An diesem Punkt musste ich dazwischengehen und sagen: »Okay, dann sollten wir vielleicht einfach keine Wahlen in verschuldeten Ländern mehr abhalten.« Und es gab keine Antwort. Die einzige Interpretation, die ich dafür liefern kann, ist: »Ja, das wäre eine gute Idee, aber es wäre schwierig sie umzusetzen. Unterschreiben Sie also entweder auf der gepunkteten Linie oder Sie sind raus.«
Harry Lambert: Haben Sie versucht, mit Regierungen anderer verschuldeter Staaten zusammenzuarbeiten?
Yanis Varoufakis: Die Antwort ist nein. Und der Grund dafür ist sehr einfach: Von Anfang an haben die betreffenden Länder überdeutlich klargestellt, dass sie die energischsten Feinde unserer Regierung sind, von Anfang an. Der Grund hierfür ist, dass ihr größter Albtraum unser Erfolg ist: Hätten wir es geschafft, einen besseren Deal für Griechenland auszuhandeln, würde sie das politisch natürlich vernichten, sie müssten ihrer eigenen Bevölkerung erklären, warum sie nicht so verhandelt haben, wie wir es taten.
Harry Lambert: Und gemeinsam mit Parteien, die mit Ihnen sympathisieren, wie etwa die spanische Podemos?
Yanis Varoufakis: Nicht wirklich. Ich meine, wir hatten immer ein gutes Verhältnis zu ihnen, aber es gab nichts, was sie hätten tun können – ihre Stimme wäre niemals in die Eurogruppe gedrungen. In der Tat war es so, dass je mehr sie sich für uns aussprachen, was sie taten, umso feindseliger wurde der Finanzminister ihres Land [Luis de Guindos] uns gegenüber.
Harry Lambert: Was ist generell das größte Problem in der Funktionsweise der Eurogruppe?
Yanis Varoufakis: Es gab einen Moment, an dem der Präsident der Eurogruppe sich dazu entschied, sich gegen uns zu positionieren, uns effektiv ausschloss und in der Öffentlichkeit erklärte, dass Griechenland sich im Grunde auf dem Weg raus aus der Eurozone befindet. Es gibt die Tradition, dass die Erklärungen der Eurogruppe einstimmig sein müssen und ihr Präsident kann nicht einfach ein Treffen einberufen und einen Mitgliedsstaat rausschmeißen. Und er sagte: »Oh, ich bin mir sicher, dass ich das tun kann.« Also fragte ich nach einer juristischen Einschätzung. Das hat ein bisschen für Durcheinander gesorgt. Für fünf oder zehn Minuten wurde das Treffen unterbrochen, Mitarbeiter, Offizielle redeten miteinander, telefonierten. Schließlich richtete ein Offizieller, ein juristischer Experte das Wort an mich und sagte die folgenden Worte: »Nun, die Eurogruppe gibt es juristisch gesehen gar nicht, es gibt keinen Vertrag, der die Einberufung dieser Gruppe regelt.«
Was wir also haben, ist eine nicht-existente Gruppe, die die größte Macht besitzt, die Leben der Europäer vorzubestimmen. Sie ist niemandem verpflichtet, da sie juristisch nicht existiert; keine Protokolle aufbewahrt und vertraulich agiert. Also wird kein Bürger jemals erfahren, was darin diskutiert wurde. … Das sind fast Entscheidungen über Leben und Tod und kein Mitglied muss sich vor irgendjemand rechtfertigen.
Harry Lambert: Und diese Gruppe wird von der deutschen Position dominiert?
Yanis Varoufakis: Komplett und restlos. Aber nicht von Einstellungen – sondern vom deutschen Finanzminister. Es funktioniert alles wie in einem gut abgestimmten Orchester, in dem er der Dirigent ist. Alles passiert in Abstimmung miteinander. Es gibt Momente, in denen das Orchester verstimmt ist, aber er holt es zusammen und bringt es zurück auf Linie.
Harry Lambert: Gibt es keine andere Macht in der Eurogruppe, können die Franzosen nichts entgegensetzen?
Yanis Varoufakis: Nur der französische Finanzminister hat Töne von sich gegeben, die sich von der deutschen Linie unterscheiden, und diese Töne waren sehr dezent. Man konnte spüren, dass er eine sehr juristische Sprache benutzen musste, damit er nicht als Abweichler gilt. In der abschließenden Analyse, wenn Doc Schäuble antwortete und im Grunde die offizielle Linie vorgab, zog der französische Finanzminister immer zurück und akzeptierte das.
Danke Yanis Varoufakis für das, was selbstverständlich sein sollte in einer Demokratie: die Unterrichtung des Souveräns darüber, was seine Vertreter so treiben und auf den Verzicht von Privilegien.
Mein Beitrag erschien bei NEOPresse.
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