Die US-Armee bombardierte im Oktober eine Klinik in Afghanistan und bestreitet seitdem hartnäckig ihre Schuld
Der Angriff auf ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in der afghanischen Stadt Kundus im Vorjahr war kein Kriegsverbrechen. Das ist die Quintessenz eines Untersuchungsberichts des Pentagons.
Das US-Militär hat keine sonderliche Eile an den Tag gelegt. Jetzt endlich hat man den Bericht der internen Untersuchung veröffentlicht. Vor auf den Tag genau sieben Monaten hatten US-Bomber in Afghanistan ein Krankenhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) angegriffen. Nachdem das Pentagon damals tagelang seine Urheberschaft leugnete, heißt es nun, bei dem Luftangriff auf die Klinik habe es sich um eine »irrtümliche Zerstörung« gehandelt. Demnach könne nicht von einem Kriegsverbrechen gesprochen werden. Dies sei nur der Fall, wenn es sich um eine »bewusste Kriegshandlung« gehandelt habe.
Die Angreifer – das US-Militär und das afghanische Heer – hätten es auf einen rund 400 Meter von der Klinik entfernten Ort abgesehen gehabt, an dem sich aufständische Kämpfer aufgehalten haben sollen. MSF hatte allerdings lange zuvor allen Konfliktparteien die genauen Koordinaten ihrer medizinischen Einrichtung mitgeteilt, damit sie eben nicht Opfer eines »irrtümlichen Angriffs« werde. Darauf vertraute MSF offenbar, schließlich steht man dafür, Verletzte aller Seiten zu versorgen.
Nach Darstellung von General Joseph Votel wurde das Bombardement zu früh eingeleitet, die Beteiligten wären nicht ausreichend vorbereitet gewesen, und die Satellitenkommunikation sei ausgefallen. Keiner der Beteiligten soll gewusst oder bemerkt haben, dass es sich bei den Angegriffenen um eine medizinische Einrichtung handelte. General Votel räumte ein, dass vom Krankenhaus weder davor noch während des Angriffs »Kampfhandlungen« ausgegangen seien. Ursächlich für die Luftattacke sei folglich »eine Kombination von unabsichtlichen menschlichen Fehlern und technischem Versagen«.
Insgesamt seien 16 Angehörige der US-Armee wegen ihrer Beteiligung an dem Angriff mit »geeigneten Verwaltungs- oder Disziplinarmaßnahmen« wie Dienstenthebung, Abmahnung oder Versetzung belangt worden. Keiner der Beteiligten muss befürchten, vor ein Militärgericht zu kommen. Auch die Identität der Gemaßregelten wurde von der US-Armee nicht bekannt gegeben.
Die dem Bericht zu Grunde liegende Untersuchung wurde von US-General John Campbell geleitet, damals Befehlshaber der US- und der NATO-Truppen in Afghanistan. Der rund 3000 Seiten umfassende Report wurde weder der Öffentlichkeit noch MSF zugänglich gemacht. Auch die nun bekannt gegebenen Passagen wurden vor ihrer Veröffentlichung noch einmal »bearbeitet«.
Die einzige Untersuchung des Vorfalls in Kundus wurde nicht von neutraler Seite, sondern den Angreifern, dem US-Militär, durchgeführt. MSF hatte eine unabhängige Untersuchung gefordert. Schließlich habe es sich um eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts gehandelt. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte man der US-Regierung eine entsprechende Petition mit 547 000 Unterschriften übergeben. Ohne Erfolg. In einer ersten Stellungnahme sprach Meinie Nicolai, MSF-Präsidentin aus Belgien, dass es sich um eine »unkontrollierte Militäroperation in einem dicht besiedelten Gebiet« gehandelt habe. Den US-Streitkräften sei es nicht gelungen, »grundlegende Gesetze des Krieges zu befolgen«. Es sei MSF unbegreiflich, warum der Einsatz unter diesen Bedingungen nicht abgebrochen worden sei, als man den »Irrtum« bemerkt habe. Das Krankenhaus sei zum Zeitpunkt der Attacken voll funktionsfähig gewesen. Es hätten sich keine bewaffneten Kämpfer darin befunden, wie selbst die US-Untersuchung feststellt.
Eine schwere Verletzung des internationalen humanitären Völkerrechts sei nicht davon abhängig, ob es sich um ein bewusstes Vorgehen handelt oder nicht, so Nicolai. Bewaffnete Gruppen, egal ob in Afghanistan, Jemen oder Syrien, könnten ihrer Verantwortung auf dem Schlachtfeld nicht entkommen, indem sie lediglich die Absicht ausschließen, eine geschützte Struktur wie ein Krankenhaus angegriffen zu haben. »Wir benötigen die ausdrückliche Zustimmung aller Konfliktparteien, einschließlich der afghanischen Behörden und des US-Militärs, dass es keine militärische Aktion oder Anwendung von Gewalt gegen medizinische Einrichtungen von MSF, Personal, Patienten und Rettungswagen gibt«, so Nicolai.
Die vom US-Militär bekannt gegebenen Disziplinarstrafen seien völlig unverhältnismäßig angesichts der Zerstörung einer medizinischen Einrichtung, des Todes von 42 Menschen, Dutzenden Verletzten und dem Verlust einer grundlegenden medizinischen Einrichtung für die Region. Die Verweigerung jeglicher Haftung sende ein besorgniserregendes Signal an die kriegführenden Parteien und diene nicht als Abschreckung bei künftigen Verstößen gegen die »Regeln des Krieges«, so Nicolai.
Es werde auch klar, dass die Opfer und ihre Familien keine Möglichkeit haben, einen Prozess gegen das US-Militär anzustreben, »weder in Afghanistan, noch in den USA«. MSF hat erklärt, es behalte sich eine eigene Untersuchung des Angriffs vor.
Mein Beitrag erschien bei neues deutschland.
SUPPORT MY COURSE